
Reality-TV: Das Geschäft mit den Frauen
Unterhaltung auf Kosten eines fragwürdigen Frauenbilds ist seit Jahrzehnten ein Erfolgsfaktor von Reality-TV-Produktionen. Warum Kritikerinnen so lange nicht gehört wurden.
Wenn eine Fernsehsendung Gegenstand der Tagespolitik wird, muss der Aufschrei groß sein: Fast alle Parlamentsparteien schlossen sich in der vergangenen Woche dem Protest von Falter-Journalist Florian Klenk an, der in seinen Social-Media-Kanälen ein Ende der ATV-Produktion "Das Geschäft mit der Liebe" (der KURIER berichtete) forderte.
Wobei die "Liebe" im Sendungstitel relativ ist: Das Format lebt seit mittlerweile elf Staffeln davon, dass österreichische Männer in (fern-) östliche Länder reisen, wo ihnen junge, "gefügige" Frauen vermittelt werden. Drehbuch und Schauspieler gibt es nicht – es handelt sich dabei um klassisches Reality-TV.
Das seit den 1990er-Jahren extrem populäre Genre steht immer wieder am Pranger. Vor allem das darin vermittelte Frauenbild wird kritisiert – aber auch die Ausbeutung sozial benachteiligter, bildungsferner Protagonisten, die eine voyeuristische Neigung des Zusehers bedienen sollen.
"Die Formate wecken starke Emotionen, sei es Anteilnahme, Überraschung, Schadenfreude oder Empörung", fasste der Schweizer Kommunikations- und Medienpsychologe Daniel Süss den Erfolg dieser Formate einmal zusammen. Derlei "emotionalisierende" Sendungen würden vom eigenen eintönigen Alltag ablenken und erlauben, sich ohne Verbindlichkeiten auf andere Schicksale einzulassen.
Zirkus bis Modelshow
Die Fakten bestätigen das: Formate wie "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!", "Der Bachelor", "Teenager werden Mütter" oder eben "Das Geschäft mit der Liebe" halten sich seit Anfang des Jahrtausends mit stabilen Quoten in den Fernsehprogrammen. Heidi Klums Modelshow "Germany’s Next Topmodel" trotzt seit 20 Jahren der Kritik, es würde Mädchen bei Fotoshootings sexualisieren und in die Magersucht treiben.
Ein Vorwurf, der wissenschaftlich sogar untermauert wurde: Kurz vor der gerade laufenden Jubiläumsstaffel (siehe Foto) wies eine Studie erneut darauf hin, dass Formate wie "GNTM" Essstörungen bei jungen Erwachsenen begünstigen würden.

Eine männliche Crew setzt zwei Jugendliche halb nackt in Szene – vor den strengen Augen von Heidi Klum (re.) in "Germany’s Next Topmodel"
©IMAGO/Cover-Images/IMAGO/PGWieso sich dennoch kaum etwas ändert? "Weil das Gaffen, Geifern und Staunen eine menschliche Eigenschaft ist, die kommerzialisiert wurde. Von der Arena zum Zirkus bis zu 'Germany’s Next Topmodel' – das ist das gleiche Prinzip", betont die Politik- und Kommunikationswissenschafterin Ulrike Weish von der Uni Wien. Expertinnen hätten sich "seit der ersten Folge" immer wieder kritisch zu "Das Geschäft mit der Liebe“ geäußert – sie wurden nur nicht so stark gehört wie nun Klenk und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ).
Die Medienwissenschafterin freut sich, dass es nun "nach so vielen Jahren" eine ernsthafte Debatte dazu gibt. "Oft staunen wir in Österreich, wie lange etwas geht, das doch hochproblematisch ist. Doch die Kritikerinnen von Sexismus und Rassismus sind das gewohnt: Weil es entweder als Spaß gilt, zu Abwertungen und Peinlichkeiten zu lachen, weil die Leute doch sowas gerne sehen, weil Sexismus offenbar unterhaltsam und lustig ist. Und zwar nicht nur in den Echokammern via Social Media, sondern auch im Rundfunk."
Fakten
- Geschichte
Reality-TV (deutsch: Realitätsfernsehen) hat seinen Ursprung in den 1940er-Jahren: Damals zeigten "arische Vorzeigepaare" ihren Lebensalltag zu Propagandazwecken vor der Kamera. - Auswirkung
Der US-Forscher Ryan Dougherty stellte in einer Studie fest, dass Trash-TV dem Gehirn langfristig schaden und dieses sogar schrumpfen lassen kann. - 1/3 der Zuseher
von Trash-TV-Formaten hat Matura, ein Viertel ist Akademiker oder Akademikerin – das ging 2015 aus einer Zuschaueranalyse von "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" hervor.
Völlig wegzudenken sind Reality-TV-Formate aus Privatfernsehen und Streamingportalen wohl nicht mehr. In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass sie wegen des Gewöhnungseffekts sogar immer extremer werden: So startete Anfang dieses Jahres etwa eine neue Staffel von "Dating Naked", wo Singles vor laufender Kamera nackt auf Partnersuche gehen.
Wie geht es weiter?
Ob "Das Geschäft mit der Liebe" nach dem öffentlichen Shitstorm abgesetzt wird, ist daher fraglich. Man werde die Staffel aussetzen und einer Qualitätskontrolle unterziehen, teilte der Sender am Montag mit. Der Inhalt sei jedoch immer ein "Balanceakt" gewesen, hieß es; er müsse eben "mit einem Augenzwinkern" konsumiert werden.
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