Mit Claus Peymann in der Rikscha: „Natürlich habe ich Angst davor zu sterben"

Der Theatermacher zeigt uns sein Wien, von der Fahrradrikscha aus - und spricht über den Tod und Dresche von Handke. In der Burg liegt der Streitbare für seine Beerdigung Probe.

Es ist einer dieser Herbsttage, an denen morgens niemand genau weiß, was anziehen, mittags, vor der Burg, heizt die Sonne vom Himmel, und der ehemalige Burgtheater-Direktor erscheint von Kopf bis Fuß in Schwarz. Kaum jemand hat Claus Peymann je etwas anderes tragen sehen. Der lange Mantel ist bis zum Hals zuknöpft, so tritt er aus der Sonne heraus, leicht nach vorne in den Wind geneigt, es zieht, es drängt ihn zur Burg. Sein Gesicht ist schmäler geworden, wie das so ist mit 85. „Die Sonne scheint, der Sommer nimmt Abschied“, sagt er. Er lacht, die blauen Augen funkeln viele Jahre jünger. Peymann hat zugesagt, uns auf der Fahrt in einer Fahrradrikscha seine magischen Plätze in Wien zu zeigen, was schon irgendwie verrückt ist. Doch der Deutsche toppt den Einfall noch: Er will seiner Beerdigung zuvorkommen.

Peymann: „Also, ich will nicht sagen, dass ich ein glücklicher Mensch bin, aber irgendwie doch: ja.“

©KURIER/Jeff Mangione

Der Mann hat Humor, das muss man ihm lassen. Dass die Burg, dieses wahnwitzige Nationaltheater, wie Peymann es nennt, eine Station würde, war klar. Doch wenn wir mit der Rikscha nun eine Runde um die Burg drehen, macht das morbiden Hintersinn: Wer Ehrenmitglied ist und stirbt, wird im Sarg in einer schwarzen Limousine um das Theater kutschiert. So will es das ehrwürdige Ritual. „Wunderbar! Die Toten umkreisen die Burg! Darauf kommen wirklich nur die Österreicher“, freut Peymann sich im Vorhinein, er ist Ehrenmitglied. Dazu erklingt die alte Kaiserhymne, das Eingangstor zur Kaiserstiege auf der Volksgartenseite schmückt ein schwarzer Baldachin, aus Säulen züngeln Flammen.

Station 1: Burgtheater

Von 1986 bis 1999 war Peymann Direktor der Burg und modernisierte den Spielplan des Hauses. Dem konservativen Milieu passte das gar nicht, der Boulevard hetzte gegen ihn. Peymanns Motto: „Mord und Totschlag“. Thomas Bernhards „Heldenplatz“, das sich mit Österreichs Nazi-Vergangenheit auseinandersetzte und das Peymann inszenierte, sorgte für einen Riesenskandal. Seine Programmierung machte die Burg zum wichtigsten deutschsprachigen Theater. Mit Vorliebe ließ er österreichische Dramatiker wie Bernhard, Handke, Jelinek oder Turrini aufführen. 

„Hier entlang geht der Trauermarsch und man sieht verlogen hinterher“, sagt der Deutsche und deutet nach vorne, wo sich einmal Polit- und Kirchenprominenz an seinen Weg heften werden, während wir auf der schmalen Bank der Rikscha sitzen, die Hände ineinander verschränken und der Verkehr am Ring an uns vorbeizieht. Gleich biegen wir am Café Landtmann rechts ab. Hinter uns tritt keuchend unsere Fahrerin Patricia in die Pedale. Am Rathausplatz ertönt die Tingeltangel-Musik des Circus Roncalli, der gerade in der Stadt gastiert.

Ich möchte die ganzen Leute, mit denen ich mein Leben verbracht habe, nach meinem Tod gar nicht alle wiedertreffen.

Dem Tod entkommen

Die letzte Runde, das letzte Geleit. Ein Gert Voss wurde so verabschiedet, ein Josef Meinrad, bei dem stritten Bundespräsident und Kanzler darum, wer als Erster dran komme, den Nachruf zu referieren. Paula Wessely ließ in ihrem Testament festschreiben, dass sie auf die pompöse Würde verzichte. Peymann machte sich ein Leben lang lustig über den Brauch. „Ich mache meine Witze darüber, aber natürlich habe ich Angst davor zu sterben“, sagt er und frimmelt sich den Mantelkragen zurecht.

2019 war Peymann zusammengebrochen, ein Herpesvirus hatte eine Gehirnhautentzündung ausgelöst. Auf der Intensivstation des AKH rangen die Ärzte erfolgreich um sein Leben. „Der Tod, je näher er rückt, hat auch Erlösungscharakter“, philosophiert der Theatermacher, und man kann nicht anders als zu denken: letzter Vorhang. „Ich sitze auch nicht der großen Lebenslüge auf, dass der liebe Gott auf mich wartet. Abgesehen davon, dass ich die ganzen Leute, mit denen ich mein Leben verbracht habe, nach meinem Tod gar nicht alle wiedertreffen möchte.“

Heimkehr ins Wohnzimmer: Peymann in der Burg. „Letztendlich haben die Leute mich geliebt“ 

©KURIER/Jeff Mangione

Im Vorbeifahren sagt eine Dame auf der Straße zu ihrem Mann „Schau, da Peymann“. Dessen Gedanken scheinen auf Reisen zu gehen, doch er artikuliert mit klarer Stimme. „Ich bin ein optimistischer Mensch, verstehen Sie. Ich werde mir meinen Himmel schon finden, da gibt’s goar nix. Und lieben kann man schließlich im Himmel und in der Hölle.“ Peymann lacht jetzt wieder. „Also, ich will nicht sagen, dass ich ein glücklicher Mensch bin, aber irgendwie doch: ja.“

Wiener können lieben

Als unsere Ehrenrunde endet, steigen wir aus der Rikscha. Es ist klar, wir wollen jetzt rein ins ehrwürdige Haus, das alte Gemäuer auf Spuren von damals abklopfen. Auf unseren angekündigten Besuch hat man hier im Vorhinein ziemlich nervös reagiert. Warum? Vor dem Bühneneingang steht eine Gruppe Angestellter, rauchend, plaudernd. Peymann, der Menschenfänger, setzt sein bestes Lächeln auf. „Das Haus steht ja noch!“, sagt er feixend zu den Männern. „Herr Direktor, Grüß Gott!“, reagiert einer von ihnen. Peymann hat sofort eine Schnurre parat, alle stehen um ihn rum, er in der Mitte, es wird gelacht. Heimkehr ins Wohnzimmer.

13 Jahre lang war der Deutsche hier Direktor, 1986 bis 1999. Peymann, der Bürgerschreck. Der Wüterich. Nicht zuletzt: der Deutsche. Die Abrissbirne des bürgerlichen Vorzeigealtars Burgtheater. Kein Verwalter des guten Geschmacks. Ein Aufrührer. Das haben wir gebraucht. Haben wir das gebraucht? Wien liebt, was es hasst. Es braucht nur manchmal Zeit, um das zu kapieren.

Heldenplatz und Entlarvung

„Irgendwie war hier immer eine Aufregung“, sagt der 85-Jährige, „aber letztendlich haben die Leute mich geliebt“. Und fügt an: „Das ist ja das Schöne an den Wienern: Die können lieben. Die können hassen, und sie brauchen auch den Hass. Aber am Ende lieben sie ... umso mehr.“

Diese aus Hass entstandene Liebe wirkt nach, sie gibt Peymann Kraft, bis heute, wie summende Kolben im Zylinder eines Motors. Solcherart mäandert er durch die Gänge, Stiegen und Foyers des Burgtheaters, treppauf, treppab. Peymann, der Suchende. Einmal aus dem Blickwinkel verloren, schon ist er einem entwischt. Zieht immer weiter, kaum zu halten. Der Regisseur sucht nun sein gemaltes Abbild. Wo geht’s hier zur Ahnengalerie? Irgendwo im Oberen Foyer, heißt es, soll das Porträt von ihm hängen. Doch erstmal steht er jetzt am Fuße der Feststiege, wo der rote Samtteppich sich schwer über die steinernen Stufen legt, umrahmt von goldenen Säulen, alles die Luft von mehr als 200 Jahren Theatergeschichte zu atmen scheint.

Er geht ein paar Schritte hinauf, kurz ausruhen. Dann legt Peymann sich da tatsächlich für uns hin, an jene Stelle, wo er in ferner Zukunft einmal in seinem Sarg aufgebahrt sein wird, umstellt von riesigen Blumenkränzen, an einem Pult ein ihn würdigender Politiker. Lausbübisch findet er grinsendes Vergnügen daran, sich ins Zentrum morbiden Klamauks zu stellen. Schmiegt den Körper sanft an den Samt, verschränkt die Arme in beinahe zärtlicher Pose hinter dem Kopf, schwelgt genießerisch im Moment: Probeliegen für Peymann, dem Himmel so nah.

Sein größter Triumph? „Kein Triumph. Sondern zu sehen, dass es Sinn hat, Theater zu machen.“ Mit Thomas Bernhard verband Claus Peymann ein schicksalhaftes Zusammensein. Der Dichter beschrieb ihn in Stücken, doch ob sie Freunde gewesen seien, könne er nicht sagen, sagte der Regisseur einmal. Gemeinsam sorgten sie 1988 mit dem wohl berüchtigtsten aller österreichischen Stücke für den heftigsten Theaterskandal hierzulande überhaupt.

„Mit dem ,Heldenplatz’ haben wir das ganze Land erschüttert“, weiß Peymann. „Der große Patriot Thomas Bernhard hat die große Lüge der Österreicher, sie seien keine Nazis gewesen, entlarvt. Das hat er zusammen mit dem Piefke Peymann ermöglicht.“ Politiker, Weihbischöfe und Burschenschaften protestierten, Boulevard-Zeitungen skandalisierten das Werk und hetzten die Leute auf.

Theater heute? „Hirnverbrannt"

Peymann setzt sich auf, stemmt sich wieder in die Höhe. Man hat das Gefühl, er würde auch dem Gegenwartstheater gerne auf die Beine helfen. An der Josefstadt, ein Theater, das er früher als verschlafen abtat, hat er kürzlich „Der deutsche Mittagstisch“ von Bernhard inszeniert. Heute ist hier seine neue Wiener Heimat. Die Kritiken schrieben „souverän“, „treffsicher“ und „formidabel“.

„Heute vertrauen wir den Dichtern nicht mehr. Regisseure fühlen sich als die besseren Dichter“, analysiert Peymann das aktuelle Theaterschaffen. „Warum muss der ,Wilhelm Tell’ umgeschrieben und mit einer Frau besetzt werden? Ich halte das für hirnverbrannt. Diese Originalitätssucht ist eine der Ursachen, dass die Leute nicht mehr ins Theater gehen – nicht Corona!“

Rund um die Burg: Peymann und KURIER Freizeit-Redakteur Alexander Kern

©KURIER/Jeff Mangione

Als wir ankommen, am Gipfel, in der Ahnengalerie unterm Dach, stehen wir vor seinem Porträt und sprechen ein letztes Mal vom Tod. Ob er in Wien tatsächlich begraben werden wolle? Peymann grinst, er spiele mit dem Gedanken, sich aufzuteilen. „Die Wiener kriegen mein Herz und die Berliner den Rest“, lacht er. „Oder doch umgekehrt? Eigentlich gehöre ich nach Berlin. Aber die schönste Zeit, die hatte ich hier. Weil die Wiener so verrückt waren, sich mit dem Peymann anzulegen.“

Habt Acht: Der Theatermacher auf großer Fahrt in der Fahrradrikscha 

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Eklat im Urlaub

Raus aus der Burg, rein in die Rikscha. Auf zur zweiten Station, zum „schönsten Gastgarten Wiens“, wie der Ex-Direktor es nennt: das Restaurant Eckel in der Sieveringer Straße. Oberdöbling. Und vor allem das: Thomas-Bernhard-Land. Die feine, großbürgerliche Gegend passte dem Dichter wie angegossen. „Meine persönliche Anarchie war ihm völlig fremd“, konstatiert Peymann, als wir die Gastwirtschaft betreten.

Station 2: Restaurant Eckel

Oberdöbling, Thomas-Bernhard-Land. Im Restaurant Eckel in der Sieveringer Straße aßen Peymann und der Dichter oft, umzingelt von Feinden. In der Obkirchergasse 3 wohnte Bernhard in einem Kämmerchen der Wohnung seines Lebensmenschen Hedwig Stavianicek, schrieb hier „Frost“. Am Grinzinger Friedhofs liegt er begraben. Vis-à-vis vom Eckel, in den Studios der heute abgerissenen Wien-Film probte Peymann, hier entstand „Heldenplatz“. Auch Schauspielerin Käthe Gold wohnte gegenüber.  

Vis-à-vis, erzählt er, war die Wien-Film. Die Studios mit ihrer glanzvollen Patina, schon damals dem Untergang geweiht, konnte Peymann in Burg-Zeiten günstig mieten. Mehrere Stücke wurden hier probiert, der „Heldenplatz“ entstand. Heute sind die Studios abgerissen. In der nahen Obkirchergasse 3 lebte Bernhard, mit Hedwig Stavianicek, „die alte Dame und das Genie“, wie Peymann sagt. „Bernhard nannte sie ,mein Lebensmensch‘.“ Und am Grinzinger Friedhof liegt der Dichter begraben – nur im Beisein seines Halbbruders beerdigt, bloß kein Pomp, nur kein Ehrengrab. „Manchmal, im Winter, wenn Schnee liegt, führen die Spuren alle zu seinem Grab. Er ist tatsächlich ein Unsterblicher geworden.“

Claus Peymann wartet im Restaurant Eckel auf seine Frittatensuppe: „Meine persönliche Anarchie war Thomas Bernhard völlig fremd“ 

©KURIER/Jeff Mangione

Und im Eckel? Da saßen Bernhard und Peymann oft, umzingelt von feindlich gesinnten Politikern und Zeitungsherausgebern. Jetzt hat die Wirtschaft eigens im Garten für uns aufgedeckt, alle anderen sitzen drinnen. Chefin und Chef schütteln Peymann die Hand, Höflichkeiten werden ausgetauscht, er ist gern gesehen. Er bestellt prickelndes Mineralwasser, Frittatensuppe, kleinen Salat. Bernhard hat immer verlangt, Fleisch zu essen, doch er weigerte sich. Viel wichtiger als was gegessen wird, war dem Dichter jedoch wann gegessen wird. Einen gemeinsamen Korsika-Urlaub brach er etwa nach wenigen Stunden ab. Grund: Ein Streit am Strand – Bernhard wollte Punkt 12 Uhr Mittagessen, Peymann hatte aber gerade erst gefrühstückt. Das war’s. Bernhard verließ das gemeinsame Ferienhaus, zog ins Hotel. Und drei Tage später war er weg.

Das Magazin - Freizeit Claus Peymann

Hassliebe zu Handke

Auch wir legen das Besteck beiseite und brechen auf – zu Station drei, dem Arsenal. Auf dem Weg dorthin stehen wir im Stau. Wir sind bereits seit Stunden unterwegs. Peymann telefoniert mit seiner Assistentin. Er werde langsam etwas müde, sagt er, aber was wir machen, sei kreativ und er wäre beglückt. Das Arsenal war die Station, die bis zuletzt wackelte: Peymann wollte unbedingt zur Probebühne, die dort fürs Burgtheater eingerichtet ist, doch da wird gerade – genau, geprobt: Martin Kušej, aktuell Direktor der Burg, inszeniert „Nebenan“ von Daniel Kehlmann. Nicht klug, hier zu stören.

Weites Land: Peymann durchschreitet die zweite große Probebühne im Arsenal
 

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Wir probieren es dennoch und Peymann ist beschwingt, leichtfüßig, freundlich, selbst wenn manche sagen, er kann auch anders. Als Kind erhielt er einen Eintrag ins Klassenbuch: „Peymann rülpst und schaut sich triumphierend um.“ An der Burg hisste er eine Fahne, auf der „Mord und Totschlag“ stand. An unserem Nachmittag ist er ein Perpetuum mobile an genialen Anekdoten.

Mit Elfriede Jelinek ging er essen, mit Peter Turrini war er in der Sauna, mit Peter Handke reiste er in den Kosovo, heute telefonieren sie mindestens einmal im Monat. „Wenn es den Begriff Hassliebe gibt“, so Peymann, „dann zwischen Handke und mir“. Für den Geschmack des Schriftstellers redet der Theaterregisseur zu viel: „Ständig krieg ich Dresche“, sagt Peymann und lacht.

Station 3: Probebühne Arsenal

Den Bau der Probebühne des Burgtheaters im Arsenal habe er von der Stadt Wien erpresst, so Claus Peymann. Er hatte darum gekämpft, weil die Probensituation zu jener Zeit katastrophal war, Hunderttausende an Mieten kostete. Also drohte Peymann, er würde sonst als Direktor hinschmeißen. Dass jetzt ausgerechnet auf einem ehemaligen Militärgelände Kunst gemacht wird, freut ihn.  

Ganz klar arbeitet der begnadete Selbstdarsteller bereits am Bild, das sich die Nachwelt einmal von ihm machen soll. Auf die Probebühne ist er stolz, Kušejs Proben lassen wir sein, und Peymann plauscht wieder mit den Angestellten, die er noch kennt. Dann muss er los, am Abend ist er noch zum Essen verabredet. Eines wollen wir aber vorher noch wissen: Seine größte Niederlage? Peymann schnauft aus, überlegt. „Eigentlich haben wir immer nur gesiegt“, sagt er und lacht schon wieder. „Am Ende haben wir gesiegt.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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