Klaus Maria Brandauer: "'Ich bin nicht politisch' ist ein blöder Satz"

Der Bühnenstar über seine Burg-Lesung, leere Theater, einen zusätzlichen freien Tag zum Nachdenken und ein Comeback.

Klaus Maria Brandauer, 1943 in Altaussee geboren, muss man nicht mehr vorstellen: Der Ausnahmeschauspieler gilt als (auch schwieriges) Genie auf der Bühne und im Film. Zuletzt hat er sich dort aber rargemacht. Diesen Freitag tritt er im Burgtheater mit seiner Lesung „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ auf – einer fiktiven Geschichte, die der junge Richard Wagner verfasst hat. Sebastian Knauer spielt dazu Klaviermusik von Beethoven.

Sie treten mit  einem Text auf, in dem Wagner eine fiktive Wanderschaft zu Beethoven antritt. Viele wissen gar nicht, dass es diesen Text gibt.
Klaus Maria Brandauer: Den kennen auch viele nicht, die sich in der Musik gut auskennen. Ich fahre damit seit mehreren Jahren durch die Lande und freue mich immer darauf, das Menschen vortragen zu können.
Wie haben Sie diesen Text gefunden?
Ich war vor Jahren zum Beethovenfest in Bonn eingeladen. Und dort hat man mich gefragt, kennen Sie „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ von Richard Wagner? Dann habe ich es gelesen und es hat mir sehr gefallen. Es ist natürlich Fiktion, die Geschichte, dass er zu Fuß von Leipzig nach Wien gegangen ist, da wäre er 14 Jahre alt gewesen. Wagner hat damals in Paris gelebt, und die Gespräche mit den Künstlern haben ihn inspiriert. Es ist eine sehr vergnügliche Geschichte!
©APA/dpa/Oliver Berg
Ist Wagner ein guter Prosaautor?
Er ist ein ausgezeichneter Schriftsteller! Wagner war ja auch mit Heinrich Heine befreundet, und der hat viel von Musik verstanden. Die Menschen waren damals universeller gebildet!
Ist das heute nicht mehr so?
Wir sollten in allen Gebieten mehr aus uns selber schöpfen. Man lernt, und daraus kann man langsam ein Leben entwickeln. Vielleicht müssten wir allen Menschen einen zusätzlichen freien Tag geben, damit sie sich einen Tag lang ausschließlich mit sich selbst beschäftigen können. Damit sie auch nachdenken können: Was passiert in meiner Gemeinde!
Ich möchte alles wissen, selbst wenn ein Bankerl neu gestrichen wird, will ich nach der Farbe gefragt werden. Das ist in kleinen Gemeinden natürlich einfacher. Ich kenne die Leute, die ich gewählt habe. Und wenn der nicht macht, was wir ihm sagen, dann hat er ein Problem im Wirtshaus.
Manche sprechen von der Verblödung der Menschheit.
Die ganze Menschheit kenne ich natürlich nicht. Ich glaube, dass eine gewisse Sättigung erreicht ist. Natürlich gibt es viele Menschen, denen es nicht gut geht. Aber im Großen und Ganzen haben wir das Gefühl, es ist alles in Ordnung. Man müsste tagtäglich bereit sein, sich damit zu beschäftigen, was geht in meiner Gemeinde vor, was geht in mir vor. „Ich bin nicht politisch“ ist ein dermaßen blöder Satz!
Würden die Menschen den freien Tag auch nützen?
Wir müssen vom Ich weg zum Du! Weißt du was, dann sag mir’s auch! Wenn ich weiß, da ist einer, der weiß etwas, was ich nicht weiß, dann möchte ich gleich hingehen, klingeln und ihn fragen. Das ist ja kein Problem, er kann mich ja wieder rausschmeißen. Und man müsste mehr lesen als nur eine Zeitung. Es ist doch herrlich, dass wir so viele Möglichkeiten haben, etwas zu lesen. Das müsste man schon in der Schule lernen. Nur zu schimpfen, hat keinen Sinn. Das wird uns von den Parteien vorgemacht – das ist oft dermaßen Kindergarten! Und ansonsten muss man darauf schauen, dass jeder genug zum Leben hat. Wir könnten das alles Leisten – wir könnten uns noch viel mehr leisten, wenn wir an einem Strang ziehen.
©APA/dpa/Oliver Berg
Nach Corona sind die Theater und Kultureinrichtungen nicht mehr gut besucht. Haben sich die Leute in der Pandemie Kultur abgewöhnt?
Wenn die Theater geschlossen werden,  dann stellt sich die Frage: Wer repräsentiert das Theater? Man hat Schauspieler im Fernsehen  und im Internet gesehen. Aber das ist nicht das Burgtheater! Theater ist eine Zusammengehörigkeit von denen, die unten sitzen und zuhören und atmen – und uns, die auch atmen und da sind. Das ist eine Gemeinschaft, die hoffentlich nicht verloren gegangen ist. Wenn wir weniger Publikum haben, dann müssen wir werben. Dann müssen wir in die Schulen gehen, wir müssen Vorträge halten. Es ist unsere Aufgabe, das, woran unser Herz hängt, den Menschen nahezubringen.
Soll man leichtere Stücke spielen, das Publikum weniger verstören?
Theater ist eine Auseinandersetzung! Wenn die Lichter ausgehen, wissen wir, wir haben kein Publikum – wir haben Publikümer! Wenn tausend Zuschauer drin sind, sind es tausend verschiedene Gedanken. Schön ist es, wenn daraus eine Gemeinsamkeit wird.  Wir brauchen alle Kultureinrichtungen, wir erziehen uns dort gegenseitig, wir verlieben uns und streiten! Um Theater zu begreifen und darüber reden zu können, muss man hineingehen. Und wir Theaterleute müssen schauen, dass etwas los ist.
Zuletzt haben Sie 2013 am Wiener Burgtheater Shakespeares König Lear gespielt. Was könnte Sie denn dazu verführen, wieder zu spielen?
Ich mache es mir nicht leicht und suche die Dinge sehr genau aus.
Also: Wenn wir das  richtige Stück haben, dann machen wir es!
©Reinhard Werner/Burgtheater
Also grundsätzlich ist alles möglich?
Ja. Aber ich übe diesen Beruf jetzt seit 60 Jahren aus, 50 Jahre davon auch an diesem Theater. Alle meine Wünsche, die ich hatte, seit ich den „Struwwelpeter“ gespielt habe in der ersten oder zweiten Klasse, die konnte ich verwirklichen. Ich habe keine Wünsche und Sehnsüchte ... aber wenn wir Lust auf etwas haben, dann besprechen wir das und machen es! Aber ich genieße auch die Ruhe. Denn wenn ich am Abend spielen muss, ist der Tag ganz anders. Denn ich möchte gut sein!
Sie gelten als Superstar des Theaters. Viele Menschen  finden Sie schon gut, nur weil Sie da sind.
(lacht) Mein Vater lebt nicht mehr. Aber er hat immer gesagt: Mach das nicht. Der Beruf ist so schwer, ich habe so eine Angst um dich. Dann hat er gesagt: Gut, du suchst dir eine Schauspielschule aus, dann lernst du das, aber unter der Bedingung, dass du jedes Wochenende nach Hause kommst, damit ich es dir ausreden kann. Das war seine Sorge um mich. Er hatte schon recht: Eine g’mahte Wiesen ist es nicht.
Immer noch nicht?
Nein. Denn wenn es das wäre, dann könnte ich aufhören. Unser Ziel ist die Leichtigkeit, aber die gelingt nur durch harte Arbeit. Aber es gibt ja auch den (steht auf und spielt einen Straßenarbeiter mit Presslufthammer) – und gegen ihn sind wir eine privilegierte Spezies. Auch daran sollten wir denken, und auch für ihn arbeiten und spielen. Wir müssen spielen, darum kämpfen, dass es wunderbar ist, und tief hineinkommen in die Herzen und Hirne der Menschen.
Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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