Der amerikanische Autor John Strelecky wurde mit seinem Buch "Das Café am Rande der Welt" international berühmt, inspiriert seither Tausende von Menschen mit seinen Büchern und Vorträgen.

US-Autor John Strelecky: "Es ist ein interessantes Dilemma"

Im Vorfeld des Erscheinens seines neuen Werks verrät John Strelecky, warum wir an Altem hängen, wie wir es lösen – und warum das so viel leichter ist, als man glaubt.

Da sitzt er, in Orlando, mit blauem Hemd und braunem Hut, vor der Kamera – und lächelt zufrieden. Bei John Strelecky, 56, ist es Mittag, als wir uns per Video miteinander verbinden, die Sonne strahlt ihm ins Gesicht.

Sie sehen entspannt aus. 

John Strelecky: Ich bin gerade von meiner Tour aus Alaska zurück, einer meiner liebsten Plätze auf der Welt. Eine so aufregende Erfahrung.

Eine andere als auf den Safaris?

Nicht unbedingt. Alaska und Südafrika sind sich ähnlicher als gedacht. Nicht im Sinne des Wetters oder davon, was man sieht – sondern in Bezug auf das Erlebnis an sich. Was die Energie betrifft, ist Afrika der Platz fürs Menschsein, mit diesem wundervollen Gefühl des Heimkommens. Alaska hingegen ist so wild und robust, die Tiere sind unbeeindruckt von einem, als würden sie sagen: "Wir sind hier, wenn ihr nicht mehr hier sein werdet."

Um die Frage des Seins und des Sinns – in Bezug auf Menschen – dreht sich Ihr gesamtes Werk.

Ja, mehr denn je ist es wichtig, nach innen zu blicken und zu fragen: Warum bin ich hier?

In turbulenten Zeiten, zwischen Krieg und Krisen, keine einfache Frage. 

Wir sind von einer Lärmkulisse des Alltags umgeben. Es ist, als würde man ein Lied singen, und währenddessen umgeben einen 50 Lautsprecher aus denen andere Lieder dröhnen.

Meinen Sie damit die digitale Reizüberflutung?

Auch. Es geht darum, in so einer Kulisse den eigenen Rhythmus zu hören. Der einzige Weg, wie mir das gelungen ist, ist Umgebungen mit Ruhe zu finden – in der Natur, Spaziergänge am Strand oder ein Buch zu lesen, das fasziniert.

Nun beeinflussen soziale Netzwerke aber unseren Alltag. Ein Hindernis? 

Könnte sein. Das Internet hilft uns beim Suchen von Orten, die uns gefallen könnten und wo wir Ruhe finden. Ich frage mich manchmal, ob es ein kosmischer Algorithmus des Universums ist, das Spiel immer weiter zu beschleunigen. Noch nie gab es so viel Aufmerksamkeit für eigene Reflexion, Selbstfürsorge und Persönlichkeitsentwicklung. Der Lärm des Alltags wächst mit dem mit.

Sie waren – vor Ihrer jetzigen Karriere – strategischer Berater und arbeiteten bis zu 12 Stunden pro Tag. Nun füllen Sie ganze Hallen mit Zuhörern und schreiben Bestseller. Wie kam das?

Wie viele Menschen spürte ich, dass etwas fehlt. Man weiß nicht, was es ist, aber man fühlt es.

Wie?

Ich fühlte, dass ich etwas vermisse. Manche Menschen erleben das auch in Form einer Intuition. So viele mögen den eigenen Job nicht, doch machen ihn für viele Jahrzehnte – und dann ist man älter, kann aber vielleicht nicht mehr all das machen, was man hätte machen wollen. Man kommt drauf: Das Verhältnis schien falsch gewesen zu sein. Ich dachte mir schon früh, da muss es einen besseren Weg geben. Und dann ist es ein interessantes Dilemma, denn man erkennt das Investment, das man in den bisherigen Weg gelegt hat. Es geht darum, es gehen zu lassen.

Damit tun sich viele sicher sehr schwer.

Ja, und der einfachste Weg ist, eine Pause einzulegen und sich zu denken: Okay, ich habe etwa zehn Jahre in einen Weg investiert, aber ich habe noch 40 weitere Jahre. Man muss das Ego beiseite schieben, auch die Angst. Als ich 28 Jahre alt war, hatte ich ein Gespräch mit einer meiner Professorinnen, und im Nachhinein klingt das verrückt, aber ich fragte sie: „Sie sehen so glücklich aus, und ich bin es nicht. Können Sie mir sagen, was es bedeutet, glücklich zu sein?“

Was hat sie geantwortet?

Wir gingen essen, und ich konnte eine Stunde lang Fragen stellen. Herausgekommen ist, dass die Definition von Glück für jeden anders ist. Für mich ist es, so banal es klingt: Ich bin glücklich, wenn ich aufwache und mich auf den Tag freue. Und wenn ich schlafen gehe, ich mit dem Tag zufrieden bin. Die meisten erleben es wohl genau anders herum.

Was passierte dann?

In meinem Fall war es sehr abenteuerlich: Ich brach meine Karriere ab, verließ meine Freunde und meine Familie und startete eine Reise um die Welt, mit dem Rucksack.

Sie sagen auch, dass wir ganz besondere Energie aufbauen, wenn wir reisen. Wieso?

Wir entkoppeln uns von der Welt, die wir kennen, wir machen Raum auf für Neues. Dabei bekommen wir neue Perspektiven, können reflektieren. Das sollte präsenter sein, auch im Alltag.

"Es muss nicht bei jedem so dramatisch sein, dass man gleich auf Weltreise geht, um seinen Weg zu finden. Es geht auch mit kleinen Schritten, im Kleiderschrank"

John Strelecky

Gelingen Veränderungen somit nur mit solchen großen Schritten?

Nein, es muss nicht bei jedem so dramatisch sein, dass man gleich auf Weltreise geht, um seinen Weg zu finden. Es geht auch mit kleinen Schritten: Wenn man in den Kleiderschrank schaut, ist der meist knallvoll, man wünscht sich mehr Platz für Neues. Wenn er aber zu voll dafür ist, muss man diesen Platz schaffen. Klingt einfach, nicht wahr?

Jedenfalls klingt es logisch.

Alles, was man in den vergangenen zwei Jahren nicht getragen hat, muss weg. Der Grund, warum wir das noch nicht gemacht haben, ist derselbe, warum wir auch andere Änderungen im Leben nicht in Angriff nehmen: Wir haben dafür investiert. Und deshalb hängen wir daran. Bleiben wir beim Kleiderschrank: Wer sich schwertut, alles auszusortieren, sollte zumindest zwei Kleidungsstücke finden, die man zwei Jahre nicht getragen hat. Die Lücke, wo sie hingen, sollte zwei Wochen lang bleiben, sodass man sie jeden Tag sehen kann – und fühlt, was das mit einem macht. Das Gehirn akzeptiert das mit jedem Tag ein Stück mehr, und Neues kann dann eingekauft werden. Am Ende der zwei Wochen sollte man das wiederholen – nach einem Jahr ist nicht nur der Kleiderschrank anders, sondern auch die Art über Veränderungen nachzudenken. Es verändert auch das Gefühl für Raum und Energie. Die ersten zwei Wochen werden die schwersten sein, doch dann fällt es einem immer leichter. So kann man üben, neue Wege zu gehen.

Wie kann man sonst noch mutiger werden und weniger Angst vor Veränderungen haben?

Ich bin der Meinung, dass es für jeden einen Lebensplan gibt, ich schreibe darüber in meinem Buch "Das Café am Rande der Welt", dort nenne ich es den "Zweck der Existenz". Wenn wir dem folgen und es vielleicht so etwas gibt wie einen persönlichen Deal mit dem Universum, wird dieses einen immer wieder dorthin stoßen, wenn wir ihn nicht einhalten. Dann passieren Dinge, die man als aufrüttelnd empfindet – zuerst sanfter, dann stärker und zuletzt, wenn man all dem keine Aufmerksamkeit schenkt, mächtig. Das können Anstöße aus dem Umfeld, dem Beruf oder sogar in der eigenen Gesundheit sein. Man muss nicht zur letzten Stufe kommen, wenn man zuvor aufmerksam genug ist. An diesem Punkt muss man raus aus der Komfortzone, auch wenn es schwierig ist, weil man damit einen Code brechen muss.

Mit Anfang 30 veränderte er sein Leben radikal, ging auf Weltreise und schrieb ein Buch – Jahre später war er Bestsellerautor  

©Paul Landerl

Welchen Code?

Unsere Zellen tragen solche Codes, früher waren das Jäger-und-Sammler-Codes, und die sind auch heute noch in uns. Wir mussten uns anpassen, um zu überleben. Vielleicht liegt es auch an dieser alten Angst, die uns oft davon abhält, Veränderungen vorzunehmen für ein Leben, das wir uns wünschen. Ein Code kann auch festgeschrieben werden, wenn man in einer Situation das Gefühl bekommt, etwas falsch gemacht zu haben. Als Kind malte ich zum Beispiel einmal einen orangefarbener Baum, daraufhin schickte die Lehrerin das Bild an meine Eltern nach Hause mit der Anmerkung, dass ein Baum grün zu sein habe. Ich erinnere mich bis heute an das abwertende Gefühl, und in mir wurde ein Code geschrieben: Macht man etwas falsch, wird man kritisiert. Bleibt so ein Code, werden wir zögern, Entscheidungen zu treffen, weil sie sich möglicherweise als "falsch" erweisen könnten. Das Gute aber ist: Man kann Codes überschreiben.

Wie gelingt einem das?

Einerseits kann eine Angst immer mit einer noch größeren Angst übertrumpft werden. Das passiert etwa auch, wenn man einen Punkt erreicht, der das eigene Glaubenssystem ins Wanken bringt. Ich komme aus einer Umgebung, in der es die Annahme gab, nur reich werden zu können, wenn man andere abzockt. Das Problem dabei ist aber: Ist man ein herzensguter Mensch und der eigene Reichtum wächst durch harte Arbeit, kommen diese Glaubenssysteme – das eigene und das äußere – in Konflikt. Der eigene wird den anderen Glauben aber immer übertrumpfen. In diesem Fall: Ein guter Mensch zu sein, wird immer mächtiger sein als das Streben nach Erfolg – und das Verrückte ist: So sabotiert man den Erfolg letztlich selbst. So machte ich das eine ganze Weile in meinem Leben, bis ich an den Punkt kam, zu erkennen, dass das falsch ist. Lässt man das alte Glaubenssystem gehen, wird Platz frei für ein Neues. Der beste Weg, einen neuen Code zu schreiben, besteht darin, die Angst, die uns vom Leben abhält, das wir uns wünschen, durch eine Angst zu überwinden, die daher rührt, dieses Leben nicht zu führen.

"Es geht darum, die kleinere Angst mit einer größeren zu überwinden. Wenn wir schon zulassen, dass Angst so eine Rolle spielt, sollten wir sie zu unserem Vorteil nutzen."

John Strelecky

Wie funktioniert das in der Praxis? 

Hier kommt eine kleine Übung: Malen Sie sehr detailliert das Leben aus, das Sie gerne führen möchten. Alle Aspekte sollten aufgeschrieben werden: Wie sieht es aus, wie fühlt es sich an, wie klingt es? Machen Sie sich in aller Deutlichkeit klar, welche Emotionen sich dabei ausbreiten. Und dann: Beobachten Sie, wie es sich langsam auflöst, weil Sie es eben nicht erlebt haben. Wie ein Moment nach dem anderen verschwindet und nie Realität wird. Es fühlt sich schlimm an, das verspreche ich Ihnen. So miserabel sogar, dass die Angst, dieses Leben nicht zu führen, die weitaus irrationalere Angst vor einem viel weniger wahrscheinlichen Szenario besiegen wird, wonach man von einem Wolf gefressen oder von Kriegern überfallen wird. Das meine ich damit, wenn ich sage: Es geht darum, die kleinere Angst mit einer größeren zu überwinden. Wenn wir schon zulassen, dass Angst so eine Rolle spielt, sollten wie sie zumindest zu unserem Vorteil nutzen.

Die KURIER feiert 35 Jahre. Was würden Sie Ihrem 35-jährigen Ich heute sagen wollen?

Ich war 32 Jahre alt, als ich alles hinter mir ließ. Dann schrieb ich das Buch, mit 35 war ich dann bereits auf meinem neuen Weg, meinem persönlichen Weg des Zwecks der Existenz. Könnte ich meinem 35-jährigen Ich heute etwas mitgeben, wäre es: "Umarme das zu 100 Prozent."

Zur Person

John Strelecky ist amerikanischer Bestseller-Autor, bei seinen Vorträgen füllen sich die Hallen mit Tausenden Zuhörern.  Seine Bücher wurden in 44 Sprachen übersetzt, weltweit mehr als zehn Millionen Stück verkauft. Berühmtester Titel: "Das Café am Rande der Welt" – eines der meistverkauften Bücher im deutschsprachigen Raum.

Taten Sie das damals noch nicht? 

Schon, aber mein Kleiderschrank war noch zu voll – um in der Metapher von vorhin zu bleiben. Ich hatte noch zu viel Altes da drin und wollte immer mehr hineinpacken, ohne auszusortieren. Ich brauchte weitere sieben Jahre um das zu schaffen.

Und dann?

Dann explodierte meine Karriere als Autor, in positiver Hinsicht. Rückblickend betrachtet hätte ich also mutiger sein sollen, alle Zeichen wiesen schon lange darauf hin.

Marlene Auer

Über Marlene Auer

Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.

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