FILE PHOTO: A man examines "Self-Portrait" by Andy Warhol during a media preview at Christie's auction house in New York

Andy Warhol Superstar: Macht ihn seine "Marilyn" zum teuersten Künstler?

Er machte aus Coca-Cola-Flaschen Kunst und aus Fotos Ikonen: Kommt es dank einer Auktion zum Comeback des Pop-Art-Pioniers?

Unsere Zeit heute hätte er so geliebt“, schwärmt der Schauspieler Rob Lowe („The Outsiders“, „The West Wing“) in der Netflix-Miniserie „The Andy Warhol Diaries“ („Die Tagebücher von Andy Warhol“). Mit Facebook, Instagram & Co. sei nämlich genau das eingetreten, was der Pop-Art-Künstler schon vor einem halben Jahrhundert prophezeit hat. Rob Lowe: „Er hat ausdrücklich gesagt, dass in der Zukunft jeder fünfzehn Minuten lang berühmt sein wird.“

Warhol selbst, der nach eigenen Aussagen „eigentlich sehr schüchtern“ war, hat das Zeitlimit von fünfzehn Minuten schon Anfang der 1960er-Jahre locker überschritten. Damals kam dem 1928 in Pittsburgh als Sohn slowakischer Einwanderer geborenen Werbegrafiker eine geniale Idee. „Im August 1962 fing ich mit Siebdrucken an“, erzählt er in dem mit seiner Assistentin Pat Hackett 1980 entstandenen Erinnerungsbuch POPism. Meine 60er-Jahre. „Du nimmst ein Foto, vergrößerst es und überträgst das Motiv auf eine Leinwand.“

Auction Preview for Andy Warhol Painting Shot Sage Blue Maylin

Shot Sage Blue Marilyn von Andy Warhol wird bei Christie's versteigert.

©EPA / JUSTIN LANE

Gesicht als Goldgrube

Das Einfache und wohl auch Serielle an dieser Prozedur faszinierte den angehenden Künstler. „Ich experimentierte mit Porträts der Schauspieler Troy Donahue und Warren Beatty. Und als dann Marilyn Monroe starb, nahm ich ihr schönes Gesicht als Vorlage – die ersten Marilyns.“ Eine Goldgrube.

Von den Marilyns gibt es zahlreiche Versionen in den unterschiedlichsten Farbtönen. Und sie brachten schon bisher viel Geld ein. Das Bild Double Marilyn etwa wurde vor fünf Jahren bei einer Auktion in New York für mehr als 3,6 Millionen US-Dollar verkauft. 1998 brachte eine orangenfarbene Marilyn 17 Millionen US-Dollar ein.

In Zukunft wird jeder 15 Minuten weltberühmt sein.
 
Andy Warhol

Die für kommenden Monat ebenfalls in New York angesetzte Auktion von Christie’s dürfte jedoch jeden Rahmen sprengen: Shot Sage Blue Marilyn aus dem Jahr 1964 wird auf 200 Millionen US-Dollar (ca. 181 Millionen Euro) geschätzt. Besagtes Bild könnte so zum teuersten je versteigerten Kunstwerk des 20. Jahrhunderts werden. Und falls nicht, ist dem Bild schon wegen seiner ungewöhnlichen Geschichte ein Stockerlplatz in der Kunstgeschichte sicher. Sein seltsamer Titel Shot Sage rührt daher, dass eine Performancekünstlerin in Warhols Atelier, der Factory, mit einem Revolver ausgerechnet in einen Stapel eben fertig gewordener „Marilyns“ geschossen hatte.

Comeback des Großmeisters

Andy Warhol ist völlig überraschend vor 35 Jahren im Alter von nur 58 Jahren an den Komplikationen einer Gallenblasenoperation gestorben. Dass ausgerechnet jetzt eine seiner Marilyns so hoch gehandelt wird und der Streaming-Anbieter Netflix die erstmals 1989 erschienenen Tagebücher des Pop-Art-Superstars verfilmt hat, deutet auf ein großes Warhol-Comeback in der Kunstgeschichte hin. Ist das so?

„Andy Warhol war nie wirklich weg“, bestätigt Marianne Dobner. Im Vorjahr hat die Kunstkuratorin eine viel besuchte Ausstellung im Museum Moderner Kunst im Wiener Museumsquartier ausgerichtet: „Andy Warhol Exhibits“. Dafür wurde unter anderem die Factory, Warhols Kunstfabrik in New York, originalgetreu nachgebaut. Im mumok mutierte sie zum generationenübergreifenden Partyraum. Filme von Andy Warhol wurden darin gezeigt. Songs des von Warhol produzierten „Bananen“-Albums „seiner“ Band Velvet Underground gespielt. Nur einer fehlte, der Meister selbst: Andy Warhol.

Als Besucher der Ausstellung konnte man sich dabei wie in einer Zeitkapsel fühlen. Und warum nicht? So wie in der Mode oder der Musik treffen offenbar auch in der Kunst die Highlights der jüngeren Vergangenheit genau den Zeitgeist.

Vielleicht kein Zufall. Während sich etwa Installationen von Ai Weiwei den Betrachtern nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen, klickt es bei der Kunst von Andy Warhol auf Anhieb. Ob Cola-Flaschen, Campbell’s-Suppendosen oder das Abbild eines überlebensgroßen Elvis – all das repräsentiert den American Dream: ein Bilderbuch des Konsums und des Gefälligen. Und es wird etwas angesprochen, das zum Beispiel der abstrakte Expressionismus eines Jackson Pollock nicht so verstand: Kunst darf durchaus auch Spaß machen.

So wie es nach wie vor eine Freude ist, in den Tagebüchern von Andy Warhol zu stöbern. Darin stolpert man von Partytratsch („Ich hatte heute die erste nette Unterhaltung mit Jackie O., kann mich aber nicht erinnern worüber“), einer akkuraten Buchhaltung („Taxi zu Katie Miller’s Osterlunch, 2 Dollar“) direkt zu seinem Alltag als Auftragskünstler („Mick möchte, dass ich das Cover seines nächsten Albums mache“). Der Bildende Künstler, ein offenes Buch.

Was würde Warhol heute sagen?

Exakt 45 Jahre sind seit diesen Aufzeichnungen vergangen. Ein Zeitraum, in dem viele andere vergessen werden. Bei Warhol hat man den Eindruck, dass sein Name mit jedem Jahr an Aura dazugewonnen hat. „Gewiss ist er längst so berühmt wie die Gesichter jener, die er durch seine Siebdrucke zu Ikonen gemacht hat: Marilyn, Elvis, Marlon, Mao, Einstein und Jackie O.“, konstatierte ganz richtig seine ehemalige Assistentin Pat Hackett 2014 im Vorwort einer Neuauflage seiner Tagebücher.

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 "Mao" von Andy Warhol

©APA/AFP/JUSTIN TALLIS / JUSTIN TALLIS

Die große Frage aber bleibt: Was würde so ein Visionär und Pionier wie Andy Warhol heute machen? Ob Malerei, Fotos, Mode, Musik und Medien, es gibt nur wenige Bereiche, wo er keine Akzente gesetzt hat. Mit Andy Warhol’s interview hat er schon 1969 das Vorbild vieler Lifestyle-Magazine geschaffen. Mit Andy Warhol’s Fifteen Minutes hatte er in den 1980er-Jahren auf MTV seine eigene Talkshow. Würde er als Pop Art-Opa jetzt pfiffige Tik-Tok-Videos machen? Oder bonbonfarbene Selfies in Serie? Oder sich vielleicht via Twitter über Gott und die Welt auslassen?

Der Überraschungskünstler

Pat Hackett dazu: „Die Leute fragen mich ständig, was Andy heute wohl über dies und jenes denken würde. Meine Antwort ist immer die gleiche: Ich habe absolut keine Idee davon.“ Eines aber steht für die über viele Jahre engste Mitarbeiterin des unermüdlichen Workaholics fest: Er würde uns ständig aufs Neue überraschen.

Genau dieser Ansicht ist auch die Kuratorin und Warhol-Expertin Marianne Dobner: „Als Künstlerpersönlichkeit ist er nach wie vor völlig einzigartig. Die unterschiedlichen Medien, mit denen er arbeitete; die unterschiedlichen Identitäten, die er annahm, all das macht ihn zu einer so vielschichtigen Persönlichkeit, an der es übrigens noch ganz viel zu entdecken gibt.“ Es sei daher auch kein Wunder, dass Warhol immer wieder neue Generationen für sich begeistere.

Sie selber verfolge die Auktion im Mai nicht, die Kunstwelt aber steht schon Kopf.

Christie's verkauft das Werk im Auftrag der Thomas-und-Doris-Ammann Stiftung mit Sitz in Zürich. Mit dem Erlös sollen Sozialprojekte für Kinder in aller Welt finanziert werden. „Die größte philantropische Auktion seit dem Verkauf der Sammlung von David und Peggy Rockefeller im Jahr 2018“, so ein Statement des Auktionshauses.

The Andy Warhol Diaries

Nachdem Andy Warhol im Jahr 1968 in der Factory von der selbst ernannten Künstlerin Valerie Solanas angeschossen wird, und nur durch eine Notoperation gerettet werden kann, beginnt er mit der Aufzeichnung seines Lebens und seiner Gefühle.
In der hochinteressanten Netflix-Miniserie kommen ehemalige Mitarbeiter, Kunstsammler und Stars wie Schauspieler Rob Lowe, die ehemalige New-Wave-Ikone Debbie Harry und seine Assistentin Pat Hackett zu Wort.

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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