Abgestaubt und aufpoliert: KHM zeigt Rüstungen in zeitgemäßer Art

"Iron Men - Mode in Stahl" präsentiert historische Körperpanzer im Kontext von Ritualen, Symbolen und Geschlechterrollen

Der Zeitpunkt könnte besser sein: Denn der Krieg in der Ukraine hat den Schleier des Abstrakten, der Begriffe wie „Rüstungsausgaben“ oder „Aufrüstung“ umgab, jäh weggerissen. Und es fällt  schwer, historische Rüstungen ob ihrer Finesse einfach zu bewundern.  

Doch es sei wichtig zu zeigen, dass es bei den metallenen Körperpanzern der Renaissancezeit nicht vorrangig um Kriegsgerät, sondern um Elemente höfischer Kultur ging, betont Sabine Haag, Chefin des Kunsthistorischen Museums (KHM). Mit der Schau „Iron Men“ überlässt das Museum nun also der sonst in der Neuen Burg stationierten Hofjagd- und Rüstkammer die großen Sonderschau-Säle des Haupthauses (bis  26. 6.).

©KHM-Museumsverbund

Der Ausstellung ging nicht bloß das buchstäbliche Abstauben (und Restaurieren) alter Ritterrüstungen voran: Sowohl in der kuratorischen Aufbereitung als auch im begleitenden Katalog ist der aufrichtige Wille zu erkennen, einen zeitgemäßen Blick auf das populäre, meist aber altbacken aufbereitete  Feld von Rüstungen, Rittern und Turnieren zu werfen.

Unsere Vorstellungen dazu seien eher von romantischen Geschichten des 19. Jahrhunderts und von Serien wie „Game of Thrones“ geformt worden, sagt  Sammlungsleiter und Kurator Stefan Krause: Es gelte, die Originale aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, die sich in der KHM-Sammlung in einmaliger Vielfalt erhalten haben, wieder genau anzusehen.

Das gelingt mit einer eleganten Ausstellungsarchitektur (Blaich & Delugan Architekten) und einer eigenen, auf Kinder abgestimmten Didaktikschiene. Sie wirft Aufmerksamkeit auf Fragen abseits von Krieg und Rittermythos. Da wird etwa die Funktion erläutert, die so genannte Harnische für (meist adelige Männer) der Renaissance erfüllten: Schon kleine Buben erhielten solche angepasst, um den Führungsanspruch für die nächste Generation nach außen zu tragen. Der erwachsene Fürst führte diesen mit üppig geschmückten Rüstungen auf Festen und Umzügen vor. So genannte „Funeralhelme“, ursprünglich an Grabmälern oder Gedenksteinen in Kirchen angebracht, signalisierten Ritterlichkeit auch nach dem Tod.

©KHM-Museumsverbund

Rüstungen und Verzierungen fungierten  wie „Logos“ für den Fürsten, wie ein Kinderwandtext pointiert formuliert. Man kann nicht umhin, an einen Energydrinkhersteller zu denken, der seine Wappentiere wohl auch an die Turnierrüstungen von Renaissance-Athleten gehämmert hätte, wäre sein Produkt damals schon erfunden gewesen: Der sportliche (und laut Kurator Krause selten blutig-tödliche)  Lanzen-Wettkampf und das umgebende Zeremoniell ist ein weiterer Fokuspunkt der Schau. Mit handwerklich exquisiten  Exponaten, aber auch mit Videos, die die relativ hohe Bewegungsfreiheit der Rüstung demonstrieren, gelingt es zu zeigen, dass Funktion und Repräsentation bei Harnischen Hand in Hand gingen.  

Dass bei aller kulturellen Überformung eine kriegerische Gesellschaft hinter dem höfischen Ritter-Kult stand und Frauen dabei primär eine huldigende und schmückende Funktion zukam, verhehlt die Schau nicht. Doch sie  ist explizit darum bemüht, ein differenziertes Bild  zu zeichnen und auf Bruchlinien des Männlichkeitskults hinzuweisen. Dies gelingt besonders in jenem Abschnitt, der der Rüstung als Modephänomen gewidmet ist: Im Nebeneinander von Objekten, Zeichnungen und Gemälden wird hier deutlich, dass Rüstungs-Ideale (wie ein gestärkter Torso oder Bauch) die textile Mode beider Geschlechter inspirierten. Umgekehrt legte man die faltenreiche Tracht der „Landsknechte“ etwa in ein unglaublich detailverliebtes Stahlkostüm um.

©The Metropolitan Museum of Art, New York

Eine explizit für eine Frau angepasste Rüstung findet sich in der Schau nicht – dass Frauen selbst Rüstungen trugen, ist aber in vielen Geschichten (allen voran jener der Jungfrau von Orleans) überliefert. Ebenso das „Crossdressing“ von Männern, die bei Turnierfesten in Frauenkleidern auftraten.

Die Genderthematik, die im Katalog noch stärker ausgebreitet wird, ist ein lohnender zeitgemäßer Zugang  – das Echo der Rüstungen in der Popkultur, den der dem Marvel-Universum entlehnte Ausstellungstitel „Iron Men“ nahelegt, würde allerdings noch eine weitere Ausstellung tragen. Moderne Harnische, von Darth Vaders und Tony Starks Anzug bis zu den „Skins“  des Computerspiels „Fortnite“ seien aber als Leihgaben  kaum zu bekommen, erklärt Kurator  Krause –  die Entertainment-Konzerne würden mit Adleraugen über das Copyright ihrer Requisiten wachen und  sich jede Sichtbarkeit teuer abkaufen lassen. Die Bestände des KHM - die hier noch mit exquisiten Leihgaben angereichert wurden - bieten demgegenüber fast unerschöpfliches Material. Mit entsprechender Aufbereitung ist es auch möglich, den Reichtum  darin wieder zu sehen. 

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

Kommentare