20 Jahre nach "Graz03": Ein Mythos, der bis heute lebt
Vor 20 Jahren trug Graz den Titel als einzige Stadt in diesem Jahr und musste die Aufmerksamkeit nicht teilen. Was ist vom Spektakel geblieben?
"Wien hat jetzt einen Graz-Komplex", richtete „Graz03“-Intendant Wolfgang Lorenz 2003 der Bundeshauptstadt aus. Das passte ins Bild: "In Graz waren alle auf einmal zehn Zentimeter größer", sagt Tourismuschef Dieter Hardt-Stremayr auch noch 20 Jahre später schmunzelnd. Die Stadt schaffte es 2003, sich in diesem Jahr als einzige Stadt Kulturhauptstadt Europas nennen zu dürfen und nicht wie üblich teilen zu müssen.
Das vor allem wegen des Millenniums prestigeträchtige Jahr 2000 hatte die Stadt abgelehnt: Neun Kommunen für bloß einen Titel waren dem damaligen Grazer SPÖ-Bürgermeister Alfred Stingl um acht zu viel.
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Was ist 20 Jahre danach aber in Graz selbst geblieben?
Da ist einmal das Offensichtliche, die Neubauten. Das Kunsthaus mit seinem blauen Wabbeldach mitten in der Altstadt, die Insel in der Mur, die Helmut-List-Halle, das Kindermuseum beim Augarten – Bauwerke, die es ohne die Sogkraft des Kulturjahres nicht geben würde.
Ein neuer Stadtteil
"Die Halle hätte ohne 2003 nicht gebaut werden können", erinnert sich Kathryn List. Auf einem Grundstück der AVL-List entstand die Mehrzweckhalle mit Solarmodulen auf dem Dach binnen neun Monaten, sie dient seither Kulturaufführungen ebenso wie Bällen. Stand sie damals noch ziemlich allein auf einem brachliegenden Gelände hinter dem Hauptbahnhof, entstand dort mittlerweile ein Wohn- und Geschäftskomplex, "Smart City" genannt, Straßenbahnanschluss inklusive.
Mit "Graz03" kam auch die Stadthalle, die überhaupt Großveranstaltungen mit bis zu 14.500 Zuschauern erst möglich machte. Im Kleinen modernisierte das Kulturprojekt sogar Gemeindewohnungen: Der Einbau von Nasszellen in Wohnungen, die keine hatten, wurde Programm – sogar die Fliesen trugen das grün-blaue "Graz03"-Logo.
Brücke oder Insel?
Nicht alle Bauten waren aber gleich erfolgreich. Vito Acconcis Murinsel etwa gehört über die immer noch existierende "Graz03"- GmbH der Stadt und verbindet Kaffeehaus mit Veranstaltungsfläche – eigentlich. Doch angekommen ist sie bei den meisten Grazern nie wirklich, höchstens als weitere Brücke. "Wir sehen sie als begehbares Designerkunstwerk mit mehren Gastronomieversuchen, einige auch mit mäßigem Erfolg", gesteht Geschäftsführer Wolfgang Skerget ein.
Das Kunsthaus ist auch so eine Sache. "Es wird meistens eher von außen betrachtet als von innen“, überlegt Hardt-Stremayr. „Aber so ein futuristisches Bauwerk mitten in einer Altstadt, das sieht man auch nicht oft.“ Das über eine Leasingvariante errichtete Gebäude ist mittlerweile im Besitz von Stadt Graz und Land Steiermark. Bei der Eröffnung des Kulturjahres war es übrigens eine Baustelle und wurde erst im Lauf des Jahres 2003 fertig.
Eine andere Liga
Und abseits von Gebäuden? "Der Mythos lebt nach wie vor", ist Cheftouristiker Hardt-Stremayr überzeugt. "Das Jahr hat uns reputations- und bekanntheitsmäßig in eine völlig andere Liga gebracht." 2003 registrierte die Stadt so viele Übernachtungen wie nie zuvor, 840.000, ein Plus von fast einem Viertel gegenüber den Jahren davor. Das Niveau hielt nicht nur, sondern stieg sogar: 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, waren es 1,2 Millionen. "Ohne den Booster Kulturhauptstadt wären wir heute nicht dort", betont Hardt-Stremayr.
Graz durfte alles, auch viel Geld ausgeben. Knapp 60 Millionen Euro waren im Budget für das Kulturjahr, 18 davon hatte die Stadt selbst zu stemmen (und dafür auch mit finanzieller Schieflage des Budgets zu kämpfen). Aber für 2003 wurde eben richtig geklotzt. 6.000 Veranstaltungen gab es insgesamt, 108 einzelne Projekte wurden umgesetzt.
Der Marienlift, ein Publikumsmagnet
Darunter solche, die es verdient hätten, dauerhaft zu bleiben. Der Lift an die Spitze der Marienstatue auf 18 Meter Höhe in der Innenstadt etwa. Er war mit 200.000 Besuchern allein 2003 ein Publikumsmagnet. Der Aufzug bot nicht nur einen Blick auf die vergoldete Madonna am Eisernen Tor, sondern auch einen Rundumblick über die Stadt von ungewohnter Seite. Er wurde 2007 abgebaut und um 40.000 Euro nach Hartberg in einen Öko-Park verkauft.
Dem Uhrturm verpasste man 2003 einen schwarzen Zwilling, als Mahnung an die unrühmliche Grazer Rolle – NS-Titel "Stadt der Volkserhebung". Der Uhrturmschatten war ein markantes Zeichen und steht heute noch. Allerdings nicht in Graz, sondern längst auf dem Parkplatz jenes Einkaufszentrums im Umland, wohin es auch Grazer zum Einkaufen zieht.
Die Shoppingcity Seiersberg wurde übrigens just 2003 eröffnet. Mehr Ironie geht nicht.
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