Next-Generation-Materialien und wie Marken sie nutzen

Fliesen aus Eierschalen, Waschbecken aus Sand und T-Shirts aus Holzfasern. Die nächste Generation außergewöhnlicher Materialien für Mode und Alltag ist endlich Wirklichkeit geworden.

Von Nicola Afchar-Negad

Denkt man an Swatch-Uhren, dann hat man automatisch ein neon-buntes Bild vor Augen. Plastik Fantastic. So war das eben in den frühen 1990er-Jahren. Das Schweizer Unternehmen ist vielleicht das Paradebeispiel dafür, dass sich Zeiten eben doch ändern. 2021 kam die Swatch Bioceramic auf den Markt. Das Material: 2/3 Keramik und 1/3 Bio-Kunststoff. Die aktuellen Modelle: grün wie der Regenwald oder schwarz wie ein Vulkan. Dieses erste Beispiel macht bereits klar, worum es bei den „Next Gen“-Materialien geht – und auch nicht geht.

Es gibt nicht das eine richtige Material, aus dem unsere Zukunft gesponnen werden wird. Es ist auch nicht alles, was aus Plastik ist, automatisch schlecht, und Kunstfasern können durchaus ihre Berechtigung haben, wobei es für die auf Erdöl basierenden auf dem Weg in eine post-fossile Zeit eng wird. Vielmehr wird sowohl an Universitäten als auch in den Unternehmen daran geforscht, Vorhandenes neu zu interpretieren, zu kombinieren, zu modifizieren und zu guter Letzt: richtig zu recyceln. Das ist nicht immer ganz einfach. Wer weiß schon, dass in einem 100-Prozent-Baumwoll-T-Shirt auch Plastik steckt? In den Nähten und den Etiketten.

Pilz-Revolution: der dünne Bodenbelag „Mogu Floor Flex“ wird als Rolle geliefert und kann nahtlos auch an der Wand weiter geführt werden. Nur eines von vielen zukunftsweisenden Produkten aus dem Pilz-Bestandteil Myzel

©©Mogu srl.

Stoff aus Holz

Das Schweizer Unternehmen „Muntagnard“ hat das erste T-Shirt auf den Markt gebracht, das „in der heutigen Zeit zertifiziert plastikfrei ausgewiesen werden kann“, so formuliert es Dario Grünenfelder. Die Nähte: aus Holzfasern. „Bei gut 120 Metern Nähgarn pro T-Shirt kommt dem Material eine höhere Bedeutung zu, als man im ersten Moment glauben könnte.“ Die Shirts selbst sind je nach Linie aus europäischer Baumwolle oder komplett aus Holzfasern. „Im April launchen wir eine weitere Produktentwicklung, für die wir auf einen Materialmix aus Algen, Holz, recycelter und organischer Baumwolle setzen.“ Für den Mitgründer und CMO von Muntagnard können „Next Gen“–Materialien sowohl künstlich als auch natürlich sein – Dogmen sucht man hier angenehmerweise vergeblich. Für die kommende Sportlinie dürfen es bei Muntagnard etwa innovative synthetische Fasern sein. Das ganze Schwarz-Weiß-Denken, das dem Thema gerne anhaftet, wird zunehmend koloriert.

Kleidung aus Holzfasern ist ein Thema. Unter anderem setzt „Muntagnard“ bei einigen seiner revolutionär nachhaltigen Stücken darauf
 

©Hersteller

„Plastik ist nicht böse, im Gegenteil“, sagt auch Malte Biss. Er ist Gründer von „flustix“, das sich der Prüfung und Kennzeichnung von Plastiknachhaltigkeit verschrieben hat. „Es ist eines der genialsten Materialien, die wir im letzten Jahrhundert erfunden haben. Nicht Kunststoff ist unser Problem, es ist unser Umgang damit.“ flustix ist ein Verbrauchersiegel. Mehr als 200 Produkte sind aktuell zertifiziert. Auch aus dem Fashion-Bereich.

In Sand baden

Was auffällt: Die Holzfaser ist ein wiederkehrender Faktor, auch der Sportswear-Gigant Adidas hat mit „Terrex HS1“ unlängst einen Hoodie vorgestellt, der neben organischer Baumwolle auch aus Holzfasern besteht. Highstreet-Brands wie H&M setzen dagegen gerne auf Kleidung made aus Recycling-PET-Flaschen. Das gilt mittlerweile fast schon als old news. Noch neu ist dagegen die Idee, aus Polymamid-haltigen Textilien wieder Polyamid-Fasern herzustellen und so die textile Zirkularität zu garantieren. Im „Textile Competence Center“ in Vorarlberg, einer Region, die einst für ihre florierende Textilwirtschaft bekannt war, wird genau daran geforscht. Die Wissenschaftler planen auch biobasierende Materialien so zu modifizieren, dass diese die Eigenschaften von Kunstfasern übernehmen, Stichwort Wärmeregulierung.

Auf Sand gebaut: Das deutsche Unternehmen „Sandhelden“ konzentriert sich auf Badezimmer-Kollektionen (Bild: „Simbiosis“) – aus Quarzsand

©Sandhelden

Ähnliche Meldungen kommen auch aus Graz, wo kühlende Unterzieh-Westen für den medizinischen Alltag erprobt werden. In China forscht man wiederum an reflektierenden Stoffen, deren Wärmeenergie ins All geschickt wird – anstatt die Umgebung zu erhitzen. Solche Shirts sollen sich eines Tages im mittelpreisigen Segment bewegen.

„Eines Tages“ ist natürlich so eine Sache. Es wird die Zeit kommen, in der Wearables Standard sind. Eine Zeit, in der uns Shirts warnen, wenn wir zu lang in der Sonne sind oder deren Fasern unsere Haut pflegen. Einfach so, nebenbei. Kleidung soll bald schon die Haut scannen können, ja sogar heilen.

Die im Jahr 1967 erstmals vorgestellten „Componibili“-Container sind ein Klassiker von „Kartell“. Neu: die Bio-Variante aus einem Biopolymer
 

©Kartell

Die Technologie ist nicht aufzuhalten und das ist auch gut so. Im Interior-Bereich ist das nicht minder deutlich spürbar. 3D-Druck ist hier längst Standard. Das deutsche Unternehmen „Sandhelden“ kreiert Sanitärkollektionen – bis hin zur Badewanne – aus Quarzsand. Der Drucker spuckt eine große Box aus Sand aus, aus der die Produkte dann quasi ausgegraben werden. Nicht nur die thermischen Eigenschaften von Sand sind ein Vorteil, auch die Geschichte passt einfach. Wer an Sand denkt, hat zumeist angenehme Assoziationen, ein warmes, wohliges Gefühl. Oder wie sieht es mit Fliesen aus Eierschalen aus? Und Bodenbelägen aus Myzel, also Pilzen? Alles Realität, alles zu kaufen. Ansonsten gilt auch bei Möbeln: Das Konzept des Upcycling ist erwachsen geworden und Resteverwertung ist schick. Marmor-Überbleibsel werden zu Küchen-Arbeitsplatten und aus Gemüse wird Textilfarbe. Anderer Ansatz: Lampen von „Almut von Wildheim“ kommen ohne Klebstoffe aus. Was das bringt? Jedes Exemplar kann spielend leicht zerlegt – und somit repariert – werden. Und wenn wirklich gar nichts mehr geht, bieten manche Hersteller Hilfe an. Muntagnard nimmt die Kleidungsstücke wieder retour, arbeitet sie neu auf oder kümmert sich ums richtige Recycling. Das nennt sich zu Ende gedacht.

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