Wolfram Kautzky: Warum Schüler heute noch Latein lernen sollten

Am 21. April ist die lange Nacht der Antike. Warum Rom und seine Sprache bis heute faszinieren, weiß Lateinlehrer und KURIER-Kolumnist Wolfram Kautzky.

Nach Englisch ist Latein die meistgelernte Fremdsprache an Österreichs Gymnasien. Warum es sich auch heute noch lohnt, in die Welt der Römer einzutauchen, weiß Lateinlehrer, Buchautor und KURIER-Kolumnist Wolfram Kautzky. 

Warum soll man eine tote Sprache lernen? Wäre eine lebende Fremdsprache nicht vernünftiger?
Wolfram Kautzky: Klar, die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach vier Jahren Latein-Unterricht meinen Burger im Fast-Food-Lokal auf Latein bestelle – und dann noch das Richtige bekomme –, ist recht gering. Tatsächlich geht’s im Latein-Unterricht nicht um die Kommunikationsfähigkeit, sondern um etwas anderes: Wer Latein lernt, bekommt eine Ahnung von Sprachsystemen. Man durchschaut, wie Sprache funktioniert. Dazu kommt, dass lateinische Wörter fast in allen europäischen Sprachen wiederkehren – so ist der Wortschatz im Englischen zu etwa 60 Prozent auf das Lateinische zurückzuführen, von Italienisch, Spanisch, Französisch ganz zu schweigen.
Latein war lange das Fach, in dem es nach Mathematik die meisten „Fleck“ gegeben hat. Ist das immer noch so?
Zum Glück nein. Die Lateiner haben vor mehr als 20 Jahren erkannt, dass sich am bis dahin üblichen Unterricht einiges ändern musste, damit das Fach attraktiver wird. Die Folge waren neue Lehrpläne, neue Lehrbücher, neue Unterrichtsformen, neue Unterrichtsziele. Tatsächlich sind die Erfolgsquoten bei Latein hoch, wie sich alljährlich auch bei der Reifeprüfung zeigt. So ein Prozess würde übrigens auch den Mathematikern guttun, damit der Nimbus des Angstfachs endlich verschwindet.

Lateinlehrer und Kolumnist Kautzky

©Privat
Was wird heute im Lateinunterricht vermittelt?
Am Beginn steht natürlich das Erlernen der Sprache. Besonderer Wert wird aber von Anfang an auf den Wortschatz gelegt, damit man Fremdwörter besser verstehen und identifizieren kann. Oft deckt ein einziges lateinisches Wort eine ganze Latte von Begriffen ab. Wer weiß, dass lateinisch stare „stehen“ heißt, versteht mit einem Schlag Begriffe wie stationär, stabilisieren, konstant, Statur und Statist. Wenn man die Verwandtschaft und das Weiterleben der Wörter im Unterricht rechtzeitig forciert, kann man bei den Schülern ein erstaunliches Interesse für diese Thematik erzeugen. Beispiel: Kürzlich hat mich ein 13-Jähriger gefragt, ob es ein Zufall ist, dass „neu“ und „neun“ so ähnlich aussehen.
Und, ist es ein Zufall?
Nein. Früher hat man mit den Fingern gezählt, den Daumen aber weggelassen. Mit beiden Händen hat man bis acht gezählt – für neun hat man eine „neue“ Hand gebraucht. Im Lateinischen ist die Ähnlichkeit dieser beiden Wörter genauso groß: „neu“ heißt novus, „neun“ novem.

Lange Nacht der Antike

In die Welt der Antike eintauchen – das kann man in der Wiener Innenstadt sowie im St. Pöltener Mary Ward Gymnasium:  am Freitag, 21. April, von 19 bis 22 Uhr. Mit Workshops, Vorträgen und Theateraufführungen.
So gibt es zum Beispiel im Lise-Meitner-Gymnasium ein lateinisches Kasperltheater oder ein lateinisches Singen, im Wasagymnasium wird eine römische Modenschau präsentiert und ein römisches Buffet offeriert. Im Schottengymnasium spricht der Altphilologe Georg Danek über Krieg und Frieden in Homers Werk Ilias. Und in einem animierten Kurzfilm verrät der antike Dichter Ovid seine Liebestipps. Auch im Juridicum, dem Campus der Uni Wien sowie bei der Ruprechtskirche geht es antik her.
In St. Pölten werden Theaterstücke aufgeführt, es wird römisch gebastelt und ein Philosophen-Rätsel kann zum Beispiel geknackt werden.
Das gesamte Programm finden Sie unter: langenachtderantike.at

Für welche Studienfächer braucht man Latein?
Für die meisten geisteswissenschaftlichen Studien ist es Voraussetzung sowie für Medizin und Jus. Das können die Unis eigenständig definieren. Im Zweifel würde ich Latein in der Schule wählen, da wird eine frühzeitige Basis für alles andere gelegt. Außerdem ist es gemütlicher als das Uni-Latinum – oft ein Schnellsiedekurs, der unter Umständen zum Stressfaktor ausartet.
Wem bringt der Lateinunterricht besonders viel?
Das klingt vielleicht komisch, aber fast alle, die ich nach Jahren treffe, beteuern mir, wie sehr ihnen Latein später geholfen hat, vor allem beim Erlernen von Fremdsprachen. Und sie betonen, dass sie von der Allgemeinbildung profitieren, die so nebenbei vermittelt wurde. Denen kann ein Hoppala wie dem Ex-US-Vizepräsidenten Dan Quayle nicht passieren, der nach einer Tour durch Lateinamerika bedauert hat, „nicht besser Latein gelernt zu haben“ – im Glauben, er habe dort Latein gehört.
Ute Brühl

Über Ute Brühl

Meist schreibe ich über so ernste Dinge wie Schule und Wissenschaft. Daneben widme ich mich immer wieder den schönen und heiteren Dinge des Lebens - dem guten Essen oder dem Gärtnern zum Beispiel.

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