Warum spazieren manche Menschen gerne ziellos umher?
Nicht nur weil es für den Kopf super ist, sondern man damit auch neue unbekannte Orte in der eigenen Stadt findet.
Raus aus der Wohnung, weg vom Computer, den Alltagspflichten entkommen, so weit die Füße tragen. Spazierengehen ist die beste Möglichkeit, um in kurzer Zeit ein wenig Abstand zu gewinnen und Dinge aus einer neuen Perspektive zu sehen. Dazu muss man sich nicht im Stehen vornüber beugen, um zwischen den Beinen hindurch die Landschaft, die man gerade zu Fuß hinter sich gelassen hat, auf den Kopf gestellt zu betrachten. Die schottische Schriftstellerin Nan Shepherd, die gerne wanderte, tat dem so, um dann auszurufen: „Wie anders doch alles plötzlich ist!“
Die Lust, auf eigenen Füßen durch die Gegend zu gehen, zu flanieren oder sich einfach durch die Straßen treiben zu lassen, wurde von vielen Künstlern und Denkern beschrieben. „Ich gehe spazieren, um mich zu verlieren, nicht um mich zu finden“, schrieb etwa der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau. Und der deutsche Philosoph Walter Benjamin meinte: „Sich in einer Stadt zurechtzufinden heißt nicht viel. In einer Stadt sich aber zu verirren, wie man in einem Walde sich verirrt, braucht Schulung.“ Die britische Autorin Annabel Streets beschäftigt sich in ihrem aktuellen Buch „Auf die Füße, fertig, los!“ (Piper) wissenschaftlich und anekdotisch damit, „wie wir uns glücklich gehen“. Dabei praktiziert sie gerne das Herumirren in ihrer Heimatstadt London und erzählt, was sie selbst davon hat: „Ich mag die Art und Weise, wie mich das schlagartig wach macht, ganz so, als hätte jemand einen doppelten Espresso direkt in meinen Kopf gekippt.“
Der Franzose Guy Debord, Künstler und Theoretiker, prägte dafür den Begriff le dérive (das Abdriften). Das bedeutet, ohne Absicht oder Plan umherzuschlendern, um zum Beispiel „die vergessenen Winkel einer Stadt auf sich wirken zu lassen“. Keine schlechte Idee, um den Kopf mit kleinen Erlebnissen zu füttern. Unser Oberstübchen dankt es, weil wir auf solchen ziellosen Touren neue Eindrücke gewinnen und so dafür sorgen, dass im Gehirn neue Nervenzellen entstehen. Der Effekt für „verloren gegangene“ Spaziergänger ist also genial: Lost in the City macht wach – und sicher auch glücklich.
Frage der Freizeit
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