Motorrad Wiedereinsteiger Training

Nach 18 Jahren wieder auf dem Motorrad: So war die erste Fahrt

Wiedereinsteiger sind besonders gefährdet. Wie es sich anfühlt, nach so langer Zeit wieder im Sattel zu sitzen und wo es hapert.

Sommer 2004. Es war das letzte Mal, dass das Umdrehen des Gashebels den Motor aufheulten ließ, sich das Bike in die Kurve legte und wieder beschleunigte. Es war beim verpflichtenden Fahrsicherheitstraining zum A-Führerschein, der eigentlich unnötig war. Aber: "Wirst sehen, du bereust es, wenn du den nicht machst", hatte der Vater zuvor gewarnt. Und billig war die Kombination aus Motorrad- und Auto-Lizenz obendrauf. 18 Jahre sollte er mit seiner Einschätzung falsch liegen. Ohne Motorradführerschein hätte auch nichts gefehlt. Bis kürzlich so ein Gedanke leise anklopfte. "Na? Wie wäre es denn, es wieder einmal zu versuchen?" Und kurz darauf meldete er sich noch einmal: "Wäre schon geil, oder?"

Im Jahr 2022 nur zum Spaß mit einem benzinverbrennenden Ding herumzufahren, klingt nicht sehr vernünftig und nachhaltig. Offenbar ist das aber eine Altersfrage. Biker sind meist nicht sehr jung und der 40er ist immerhin näher als der 30er (schnief!). Doch Obacht: Wiedereinsteiger - meist ab 40 - sind eine besonders gefährdete Gruppe. Sie haben einen Führerschein vor einigen Jahren gemacht und steigen - meist auch ohne Vorbereitung - wieder auf ein Motorrad. Besonders gerne auf eines mit viel Power. Und das erhöht das Risiko für Unfälle.

Eine Ausfahrt auf der Straße - wahrscheinlich zu gefährlich. Dann schon lieber in die geschützte Werkstätte zum größten Fahrtechnik Zentrum des ÖAMTC in Teesdorf unter professioneller Aufsicht. Motorradfahren mit angezogener Handbremse, quasi. Aber lieber einen Tag lang feig (und etwas lernen), als ein Leben lang tot. Außerdem macht nur Übung den Meister. Es sollte ein Tag mit Schwierigkeiten, Rückschlägen, aber auch Erfolgserlebnissen sein.

Beim Start abgewürgt

Beim Aktiv-Training machen, wie der Name schon sagt, aktive Motorradfahrer mit, die ihre Fähigkeiten verbessern wollen. Die werden eine rechte Freude haben mit einem, der 18 Jahre lang nicht auf einer Maschine gesessen ist. Dafür ist das Outfit schneidig und durchaus sexy. Auch die Dame des Herzens ist entzückt. Jacke, Hose, Stiefel: alles in Schwarz und aus Leder. Es ist eine ausgemusterte Gendarmerie-Montur des Vaters. Könnte aber wohl genauso gut aus dem Fetisch-Shop stammen.

Man in Black: Schwarze Lederkluft, schwarzes Bike. So rasant wie das Outfit wird es beim Fahren wohl nicht werden.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Passend zur Kluft und zu den Fahrkenntnissen kommt Instruktor Michi ("Wir Motorradfahrer sind per du) nach einer theoretischen Einführung mit einer schwarzen, nicht ganz rasant wirkenden unverbauten Honda daher. "Sie ist eine ganze eine Brave", sagt der Profi, als würde er ein liebes Pferd zur Verfügung stellen. Er lässt den Motor an, der schnurrt beim Warmwerden ruhig dahin "Weißt du eh noch, wie alles funktioniert?", fragt er. Kupplung: linker Hebel, Vorderbremse: rechter Hebel, Schaltung: erster Gang runter, die anderen: rauf.

Michi ist mit der Antwort zufrieden, sie berechtigen zum Aufsitzen: "Fahr mir einfach nach." Klar, ganz einfach. Wenn es nur so leicht ginge. Mit dem Fuß wird der erste Gang eingelegt. Das Gefühl neuer Freiheit, der Fahrtwind sind in den Gedanken schon zu spüren. Aber nur dort. Das Auslassen der Kupplung war wohl zu schnell, der Motor ist abgewürgt.

Zweiter Versuch, selbes Spiel. Jetzt könnte die Freiheit kommen. Wieder nicht, wieder abgewürgt. Das kann was werden. Dritter Versuch, die Kurskollegen und eine -kollegin sind schon vorgefahren, es funktioniert. Endlich. Jetzt heißt es aufholen. Nicht unbedingt ein angenehmes Gefühl, das Gas zum ersten Mal richtig hochzudrehen. Die Tachonadel klettert auf rasante 50 km/h. Zum Vergleich: ein Kursteilnehmer erzählt später davon, dass er mit seiner sehr sportlichen Ducati schon mal 300 geschafft hat. Das ist weit entfernt, klingt aber spektakulär. Doch mit dem Fahrtwind verschwindet die erste Unsicherheit. Das könnte unter Umständen wirklich noch Spaß machen.

Die Truppe fährt voran, der Wiedereinsteiger hinterher.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Es geht zu einer geraden Strecke - Slalomfahren entlang aufgestellter Hüte und Stäbe. Die engen werden ausgelassen, die Arme und Hände fangen an zu verkrampfen und machen sich spürbar bemerkbar. Gut, dass Michi zur Seite winkt und Tipps gibt. "Du könntest besser oben sitzen", sagt er - er ist kein Mann der negativen Pädagogik. "Füße weiter zurück zum Raster, mit den Schenkeln den Tank umschließen, ein bisschen ein Hohlkreuz machen, die Arme mehr abwinkeln." Tatsächlich: die Maschine bekommt gleich mehr Stabilität. Nur die ganz eng gesteckten Passagen gehen noch nicht.

Mit Vollgas in den Leerlauf

Dafür reizt das Hochziehen umso mehr. Aber auch hier weist die Unerfahrenheit den Ungestümen in die Schranken. Ab und zu will das Schalten von der Ersten in die Zweite nicht so recht - der Gang geht in den Leerlauf, gerade wenn die Lust auf Geschwindigkeit groß ist. So heult nur der Motor - und innerlich der Lenker.

Nächster Programmpunkt: Kreisfahren im Kreisel. Gerade richtiges Kurvennehmen will gelernt sein. "Nie zu nahe zur Fahrbahnmitte fahren", warnt Michi - entgegenkommende mehrspurige Fahrzeuge, die Selbiges tun, können so gefährlich werden. Und besonders wichtig: Der Blick. Weil eine alte Motorradfahrerweisheit besagt: "Wo du hinschaust, fährst du auch hin." Das hat der Vater auch noch gesagt, als er die lässige Biker-Kluft herausrückte. Der Blick gehört stets weiter weg - zum Kurvenausgang, nicht auf den Straßenrand oder Gegenverkehr. 

Instruktor Michi zeigt beim Kreisel das richtige Kurvenfahren.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Wieder ist ein Stopp bei Michi fällig. "Du hältst den Kopf zu schief und das Kinn muss weiter rauf." Er greift aufs Helmvisier und stellt es so ein, dass die untere Kante einen Horizont ergibt. Und der muss immer waagrecht sein. Aber immerhin passiert das auch den passionierten Bikern. Michi muss mehrere ins - konstruktiv-nette - Gebet nehmen. Wer seine Ratschläge befolgt, bekommt dann ohnehin ein "Super" entgegengeschrien.

ÖAMTC Motorradtraining

"Jetzt seid ihr alle gelegen", resümiert der Instruktor und legt den Kursteilnehmern ans Herz, eine andere Kurventechnik zu probieren: Das Drücken. Der Fahrer bleibt dabei relativ aufrecht, das Motorrad wird mit dem Lenker nach unten gedrückt. Das schaut sehr professionell aus - und das ist wirklich wichtig, ist gut in engen Kurven und gegen plötzlich auftretende Hindernisse. Komischerweise funktioniert das gleich gar nicht schlecht.

So sieht das Drücken als Kurventechnik aus, wenn es der Profi macht.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Es geht weiter zum Kurvenparcours - langsam sind eine Menge Kehren zu meistern. "Konstante Geschwindigkeit, immer richtig schauen", rät Michi und zeigt vor, wie man es nicht macht. Und wie es richtig geht. Seine Idealfahrt ist schwerlich nachzuahmen. Immer wieder kommt der falsche Gang ins Getriebe, der Motor ruckelt manchmal, wenn es um die Kurve geht. Aber Michi ist, ganz der nette Lehrer, der er ist, durchaus zufrieden. "Jetzt kommst du schön langsam rein", attestiert er. Schön zu hören, aber jetzt wird eine Pause fällig, Motorradfahren ist anstrengend. War das vor 18 Jahren auch schon so? Vor der Pause muss die Gruppe beim Vorbeifahren Verkehrshütchen mit dem Fuß umstoßen - was leicht ist. Dann aber auch wieder mit dem Fuß aufstellen, was schon etwas Geschick erfordert. Die Zahl der aufgestellten Hüte hält sich in Grenzen.

Risiken und Unfälle

Im zweiten Übungsteil geht es ums Eingemachte, ums Bremsen, Ausweichen, also Unfallvermeidung im Allgemeinen. Der Hauptgrund für schwerwiegende Vorfälle sind mangelnde Fahrpraxis und Selbstüberschätzung. "Rund drei Viertel der tödlichen Motorradunfälle passieren wegen Eigenfehlern", sagt Michi. Dazu zählen: nicht angepasste Geschwindigkeit, missglückte Überholmanöver oder Vorrangverletzungen. Natürlich sind nicht alle Motorradunfälle selbst verschuldet: Speziell in Kreuzungssituationen - ein Viertel der tödlichen Unfälle - kommt es immer wieder vor, dass Motorradfahrer übersehen werden. 

Übung macht den Meister - und verschafft Sicherheit.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Stürze sind gar nicht selten. Michi berichtet von einem Freund, der zu schnell in die Kurve gefahren ist, was mit einem Sturz über die Leitplanke endete. "Er konnte sogar weiterfahren." Unter Bikern offenbar nichts Ungewöhnliches. "Mich hat es schon mehrmals hingelegt", sagt der Teilnehmer mit der schneidigen Ducati. Nachsatz: "Aber glücklicherweise ist noch nie etwas passiert." 

Er macht aber auch jedes Jahr brav so ein Training. Und da sind Bremsübungen Pflicht. Vor dem Anhalten ist das Motorrad bis zu einem gewissen Punkt auf 60-70 km/h zu beschleunigen. Eine Radaranzeige erbringt den Beweis, wie viel es wirklich ist. 48 sind das höchste der Gefühle. Aber der Bremshebel wurde schon vorher gedrückt. Eventuell waren es 60. Zumindest angefühlt hat es sich wie 150.

Als es zur letzten Übung geht - Hindernissen ausweichen und einen lässigen Rundkurs fahren - ist der Abstand zu den anderen schon nicht mehr allzu groß. Ein kleines Stück Sicherheit hat sich schon eingestellt. Zumindest ein ganz klitzekleines.

Zum Schluss klettert die Tachonadel schon in die Nähe von 70 km/h. Geht noch mehr? Lieber nicht: Wie war das nochmal mit der Selbstüberschätzung?  "Dafür, dass du 18 Jahre nicht gefahren bist, war das ganz gut", lobt Michi zum Abschied und überreicht eine Urkunde.

Spaß hat es auf jeden Fall gemacht. Aber damit auf der viel befahrenen Bundestraße und dann weiter auf der Autobahn damit nach Wien? Auf keinen Fall. Zu groß ist der Respekt. Lieber noch ein paar Mal üben.

 

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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