Abheben ohne Bange: "Flugangst ist kein lebenslanges Schicksal"
Abheben ohne Bange: Eine Psychologin erklärt, wie man die Furcht vor dem Fliegen in den Griff bekommt.
"Flugzeuge erfüllen die alte Sehnsucht des Menschen, wie ein Vogel durch die Luft zu schweben", sagt Irene Rausch. Doch die Grenze zwischen Faszination und Furcht kann schmal sein, weiß die Psychologin, die auf die Behandlung von Menschen mit Flugangst spezialisiert ist. "Rund 30 Prozent aller Passagiere erleben leichte bis schwere Flugangst. Wenn man noch all jene dazu nimmt, die nicht super entspannt sind beim Fliegen, landet man bei der Hälfte aller Passagiere, die leichtes bis massives Unbehagen spüren."
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In ihrem neuen Buch "Glücklich fliegen - wie auf Wolke 7" hat sie ihr Wissen über flugbedingte Beklemmungsgefühle niedergeschrieben. Die gute Nachricht: Eine therapieresistente Flugangst gibt es nicht. "Glücklicherweise kommt niemand mit Flugangst auf die Welt. Was im Laufe des Lebens erworben wird, kann auch wieder verlernt werden."
Wie das genau gelingen kann, erklärt Rausch im Interview mit dem KURIER.
Irene Rausch: Ja. Glücklicherweise können viele Menschen entspannt fliegen und dieses an sich schöne Erlebnis genießen. Es gibt allerdings fast genauso viele, die das nicht können. Aber auch sie können dorthin kommen.
Im Unterschied zu manchen anderen Ängsten baut sich die Flugangst längere Zeit vor Betreten des Flugzeuges auf. Betroffene spüren schon Tage oder Wochen vor der Reise Anspannung und Unbehagen und kämpfen nicht selten mit der Überlegung, den Flug abzusagen. Das kann sich bis zum Abflug so steigern, dass man es nur knapp in den Flieger schafft.
Ja, einem, der mit Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüchen, Zittern und manchmal auch Weinen verbunden ist. Die Gedanken entgleiten, man kippt ins Katastrophisieren und verliert sich in furchterregenden Gedanken.
Meistens gibt es breitere Angstthemen. Etwa die Angst vor Enge oder vor Menschenansammlungen, oder vor Situationen und Orten, die das Gefühl erwecken, ihnen nicht leicht entkommen zu können. Auch Höhenangst kann hineinspielen.
Kontrollverlust spielt oft eine Rolle. Im Unterschied zu anderen Verkehrsmitteln wie dem Auto hat man beim Fliegen das Gefühl, dass man der Situation ausgeliefert ist. Dem ist ja auch so. Aber man verfällt dem trügerischen Gefühl, dass man im Auto, wenn man selbst am Steuer sitzt, mehr Einfluss nehmen kann. Man hat zwar die Kontrolle über das Lenkrad, tatsächlich weiß man aber nie, wer vor, hinter oder neben einem fährt. Und man weiß auch nie, was im Inneren des Autos genau vor sich geht. Dennoch ist die Angst vorm Fliegen oft irrational groß und widerspricht jeder Statistik.
Sich überrumpeln zu lassen oder das Ereignis von sich wegzuschieben und im letzten Moment auf Alkohol oder Beruhigungsmittel zu vertrauen, ist kontraproduktiv. Stattdessen kann man im Vorfeld einiges tun: Bei vielen wird die Angstschwelle bei Stress schnell überschritten. In diesem Fall sollte man die Reise bewusst in Ruhe angehen. Heißt: Puffertag zwischen Urlaubsbeginn und Abreisetag einplanen, nicht zum Flughafen hetzen, Zeit zum Bummeln dort einplanen.
Aktivierende Substanzen wie Kaffee, Alkohol oder Nikotin. Bewegung ist allerdings eine gute Möglichkeit, um Adrenalin abzubauen. Am Tag des Fluges darf man gezielt Bewegung machen. Falls dafür keine Zeit ist, unbedingt am Flughafen möglichst viel zu Fuß gehen und zum Beispiel Rolltreppen meiden.
Ängste kann man wegatmen. Dafür braucht es ein bisschen Übung und Konsequenz. Wenn man bei der Atmung bleibt und die Bauchatmung gut einsetzt, ist man so beschäftigt, dass man gar nicht dazu kommt, Angstgedanken Raum zu geben. Natürlich hilft auch Ablenkung durch Bücher, Musik oder Videos. Die dürfen unterhaltsam sein, Lachen und Angst vertragen sich nicht gut. Wichtig ist, dass man nicht in eine Starre verfällt.
Man sollte altersgerecht und in spielerischer Form mit einem Bilderbuch oder Stofftier die Freude am Fliegen vermitteln. Dafür sollte man im Idealfall selbst Freude daran haben. Wichtig ist, dass man erklärt, dass es auch mal wackeln kann und dass das ganz normal ist.
Hier ist Hintergrundwissen essenziell. Für viele sind Turbulenzen ein großer Angstfaktor, weil sie glauben, dass sie bedrohlich sind fürs Flugzeug. Die Luft ist ein bewegtes Element und Flugzeuge sind dafür konzipiert dem standzuhalten. Sie würden ein Vielfaches an Turbulenzen aushalten, ohne dass etwas passiert. Ein Flug kann ruckelig sein, deswegen ist er nicht gefährlich. Man soll mit der Einstellung ins Flugzeug steigen, egal wie das Wetter ist, das Flugzeug hält das aus.
Zur Person: Psychologin Irene Rausch
Das Interesse am Fliegen wurde Irene Rausch gewissermaßen in die Wiege gelegt. Aufgewachsen in Wien, machte sie ihr flugbegeisterter Vater früh mit der Luftfahrt vertraut. Nach der Matura wagte Rausch einen beruflichen Abstecher in die Lüfte: Den Job als Stewardess tauschte sie schließlich gegen das Psychologiestudium und widmete sich dem menschlichen Erleben und Verhalten. Inzwischen ist Rausch, die auch mit einem Piloten verheiratet ist, unter anderem auf die Behandlung von Flugangst spezialisiert.
Die Angst kann dann verständlicherweise wieder aufflackern. Der emotionalen Betroffenheit muss man mit rationalen Fakten begegnen. Es ist tatsächlich wahrscheinlicher, einen Lotto-Sechser zu tippen, als in einen Flugunfall verwickelt zu sein.
Das muss man differenziert sehen: Ich kenne technisch sehr interessierte Menschen, denen das eventuell helfen könnte. Nach meiner Erfahrung ist das aber eher die Ausnahme. Für den Normalflieger würde ich eher nicht empfehlen, sich in Details zu vertiefen. Was sicherlich nicht gut ist, ist sich mit Flugunfällen zu beschäftigen. Das führt zu einer Verzerrung der Risikoeinschätzung. Oder Katastrophenfilme, die sind fachlich selten akkurat.
Das Element Luft hat menschheitsgeschichtlich immer eine Faszination ausgeübt. Wir haben viele Tausende Jahre versucht, Fluggeräte zu konstruieren, die längere Aufenthalte in der Luft ermöglichen. Gelungen ist das erst um 1900. Flugzeuge erfüllen die alte Sehnsucht des Menschen, wie ein Vogel durch die Luft zu schweben.
Nein, es ist kein lebenslanges Schicksal. Glücklicherweise kommt niemand mit Flugangst auf die Welt. Was im Laufe des Lebens erworben wird, kann auch wieder verlernt werden.
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