Zeitmesser einmal anders: Immer der Sonne nach

Man kann sie weder am Handgelenk tragen noch in die Küche stellen – und doch zeigt sie die Zeit an: die Sonnenuhr. Von Manfred Horvath

 Ich bin nichts ohne Sonne – Nihil sum sine sole, steht auf einer Sonnenuhr in Niederranna an der Donau. Sie zeigt uns nicht nur die Zeit, sondern auch, dass wir mit dem Kosmos verbunden sind. Eine Sonnenuhr kann wie ein Freund sein: Wer weiß, wo sie ist, kann sie immer wieder besuchen. Man schaut hinauf und nickt ihr zu wie zum Gruß.

In Zeiten von Smartwatches glaubt man es kaum, aber das Netz an Sonnenuhren ist dicht in Österreich. Etwa 3.300 hat der Astronomische Verein katalogisiert. Die erste im Nachschlagewerk  ist ein formal reduzierter Steinwürfel aus burgenländischem Sandstein mit eingebohrtem Anzeigestab auf dem Giebel eines Bürgerhauses neben dem Kalvarienberg in Eisenstadt. Man kann aus dem Katalog aber auch entnehmen, dass manche Bauten  mehrere  Sonnenuhren besitzen.  

Ist der Blick einmal geschärft, entdeckt man sie nicht nur in der Höhe, sondern auch am Boden oder als  Skulptur.

©Manfred Horvath

Sonnenuhr und Schattenzeiger

Vielfalt liegt in der Natur dieser Uhr. Eine vertikale Sonnenuhr  auf der Südseite einer Wand zeigt weder die frühen Morgen- noch die Abendstunden an, da sie zu diesen Ex-tremzeiten gar nicht beschienen ist. Im Sommer benötigt man zum Ablesen dieser Zeiten eine Nordwand. Deshalb haben manche Gebäude gleich mehrere Sonnenuhren.

In der Kartause Aggsbach und im Stift Zwettl sind es acht an der Zahl. Horizontale Sonnenuhren, deren Ziffernblatt parallel zum Boden steht, können die Zeit von frühmorgens bis spätabends anzeigen. Als Objekte in Gärten und Parkanlagen und als künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum erfreuen sie sich großer Beliebtheit.

Vor Stift Heiligenkreuz im Wienerwald steht seit dem Jahr 2012 eine überdimensionale Sonnenuhr, die gleich einen ganzen Platz einnimmt. Sie soll ein Denkmal für Religionsfreiheit sein und ist als Sonnen-Reflexions-Uhr konzipiert. Das Gnomon, das ist der Schattenzeiger, überragt die davor stehenden Besucher. Es ist ein etwa sechs Meter hoher Pyramidenpfeil aus Inoxstahl, der oben einen Spiegel eingebaut hat. Dieser wirft als Reflektor die Sonne auf das ovale Bethlehem-Mosaik-Ziffernblatt.

Komplex und genial

Die komplexe Berechnung des Zeitmessers stammt von Professor Hellmuth Stachel von der TU Wien. Sie ist nicht nur genial und weltweit einzigartig, sondern funktioniert tatsächlich.

Seit es Menschen gibt, haben sie sich mit Zeit beschäftigt. Der heilige Augustinus fragte sich: „Was ist Zeit? Wenn man mich fragt, weiß ich es – will ich es dem Fragenden erklären, so weiß ich es nicht.

©Manfred Horvath

Am Anfang waren es wohl Naturbeobachtungen, die halfen, die Tageszeit abzuschätzen: etwa anhand der sich verändernden Schatten der Bäume, Steine oder Berge. Manche Gebirgsnamen zeugen davon: Morgennock, Mittagsfluh,  Sonnwendstein oder Zwölferkogel.


Sonne kommt und geht

Die erste Sonnenuhr dürfte ein Holzstab gewesen sein, der in den Boden neben einem eingeritzten oder bemalten Stein gerammt wurde. Die Autorin Mella Waldstein schreibt über ihre Zeitrechnung im Waldviertel: „Wenn im Juli die Sonne hinter dem Holzstoß untergeht, ist es neun Uhr. Im August findet mein persönlicher Sonnenuntergang um halb neun statt. Im November gar nicht, denn da scheint hier meist nur der Nebel. Und im Jänner verschwindet die Sonne um vier Uhr nachmittags hinter einer Erle.“

Die ersten Sonnenuhren entstanden im Altertum. Eratosthenes sah die Erde schon um 240 v. Chr. als Kugel an. Seine beiden  Mittagsweiser standen in Assuan und in Alexandria. Aus den unterschiedlichen Längen der zwei Mittagsschatten konnte er bei bekannter Entfernung der Orte den Erdradius ziemlich genau errechnen.  

Erste gut belegte archäologische Funde von Sonnenuhren stammen aus dem Ägypten des 13. Jh. vor Chr.,  Griechen und Römer entwickelten sie weiter. In unseren Breiten hatten die Menschen bis ins Mittelalter   keine großen Ambitionen, die Zeit in Stunden und Sekunden einzuteilen; die ersten Sonnenuhren entstanden in Klöstern.

Der Schattenstab hatte jedoch eine andere Funktion als jener ausgefeilte vor dem tift Heiligenkreuz: Der Schattenwurf auf die in die Klostermauer eingemeißelten Linien zeigte nämlich nicht Stunden an, sondern die Zeiten des Gebetes.

Lucem demonstrat umbra – Der Schatten zeigt das Licht, ist ein Spruch, der oft auf Sonnenuhren steht. Wenn man an einem sonnigen Tag neugierig nach oben blickt zu einer Sonnenuhr und ein schön gestaltetes Ziffernblatt vorfindet,  aber keinen Schattenwurf, oder eine vollkommen falsche Zeitanzeige, kann es am fehlenden Polstab liegen.

Oder daran, dass dieser im Laufe der Zeiten verbogen wurde. Es könnte aber auch sein, dass das Gnomon bei einer Demontage nach einer Restaurierung falsch eingesetzt wurde.

Eine Anfrage an die Arbeitsgruppe Sonnenuhren des Österreichischen  Astronomischen Vereins kann hier schon mit Rat und Tat weiterhelfen.

Künstlerin und Sonnenuhrbauerin Lisi Breuss beschäftigt sich seit  mehr als 30 Jahren künstlerisch mit  Sonnenuhren. „Wenn ich mit meinen Söhnen im Gebirge bin und wandere, machen wir immer wieder das Spiel, die Zeit am Sonnenstand zu schätzen. Wir sind schon so fit, dass wir auf eine halbe Stunde genau hinkommen“, sagt sie.             

©Manfred Horvath

Lisi Breuss’  Ansatz ist nicht, eine möglichst genaue Sonnenuhr zu bauen, es geht ihr um die Interaktion zwischen Mensch,  Kosmos, Körperschatten. Und so hat sie vor 20 Jahren  eine begehbare Sonnenuhr  auf einem sanften Hügel im Weinviertel gebaut. Mit Fernblick: Auf einer Bodenplatte aus Stein stehend sieht man die Kirche von Kettlasbrunn.

Das Muster auf dem Stein erinnert an das Kinderspiel Tempelhüpfen. Wo man steht, ist  wichtig für die Zeitanzeige,  je nach Monat wird der Standpunkt gewählt. Anhand des  eigenen  Schattens auf dem halbrunden Ziffernblatt, das sich in der Wiese aufspannt, kann so die Uhrzeit bestimmt werden. Es ist ungefähr Mittag, ein Falke steht in der Luft in der Sichtachse und rüttelt mit seinen Flügeln im Zehntel-Sekundentakt.

Ihre  Leidenschaft  für Sonnenuhren hat  Breuss übrigens als Studentin der Kunstakademie  in der Toskana  entdeckt. Bei einem ihrer Streifzüge durch die  Landschaft traf sie einen alten Bauern, der auf einer sehr einfach gebauten Sonnenuhr ablesen konnte, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen.

Gut zu wissen

Hier gibt es bei Fragen zu Sonnenuhren Antworten: Arbeitsgruppe Sonnenuhren (GSA) im Österreichischen Astronomischen Verein. www.gnomonica.at

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