Zauberland aus Karst in Kroatiens Velebit-Gebirge
Durch das Velebit-Gebirge führt ein richtig wildes Stück Europa – Sturmwinde, Adria-Blicke und Karl-May-Kulissen inklusive.
Von Günter Kast
Die Bora. „Der große Störenfried dieses Meeres, erhebt sich stets ohne das kleinste Warnungszeichen; mit der Gewalt eines Tornados überfällt sie die Seeleute und gestattet nur dem Kühnsten, auf Deck zu bleiben.“ Wahre Worte eines kroatischen Poeten?
I wo, Karl Marx, den meisten eher als Kapitalismus - denn als Wetter-Kritiker aufgefallen, schrieb diese Zeilen über den berüchtigten kalten Fallwind, der von den Bergen auf die Adria zurollt.
Wenn es ganz dumm läuft, giftet die Bora nicht nur mit Orkanböen, sondern auch mit Starkregen, der jeder Autowaschstraße zur Ehre gereichte – so wie jetzt. Das ist insofern ungünstig, als die zwar neu renovierte, aber klitzekleine Sugarska-Duliba-Hütte bestenfalls Platz für acht Menschlein bietet, wenn sie Übung im Löffelliegen haben. Weil aber mehr als doppelt so viele Trekker ein Lager brauchen, müssen sie mit den Zelten vorliebnehmen.
Sturm zum Durchlüften
Nach der nächtlichen Schüttel- und Rüttelpartie wissen die Trekker: Die Nylon-Dome lassen sich von der Bora nicht so schnell den Zahn, sprich: Hering, ziehen. Sie überleben nicht nur wider Erwarten, sondern bleiben in ihren Schlafsäcken sogar trocken. „So ein Sturm“, findet Christian Hlade, „macht den Kopf frei. Danach ist die Luft rein, innen wie außen.“
Dem Gründer des Grazer Reiseveranstalters Weltweitwandern haben die Trekker zu verdanken, dass sie Patagonien-Feeling vor der Haustür erleben. 1987 kam er als Student erstmals ins Velebit und war fasziniert vom Karst-Zauberland mit seinen Dolinen und Höhlen; den aus Kalk geformten Rippen, die sich aus wilden Buchenwäldern erheben und in spitzen Gipfeln kulminieren; den scharfen Kontrasten zur tiefblauen Adria, getupft mit sandgelben, kahlen Inseln.
Den Weg gibt damals wie heute Ante Premužić vor. Der Forstingenieur begegnet einem als Schwarz-Weiß-Fotografie auf einer Infotafel des Nationalparks Nördlicher Velebit: das Kinn vorgereckt, die Augen zusammengekniffen, der Schnauzer ordentlich getrimmt.
Beschäftigungsprojekt mit Weitblick
In den 1930er-Jahren hatte er eine verwegene Idee: Um die örtliche Bevölkerung während der Wirtschaftskrise in Lohn und Brot zu bringen, organisierte er unter österreichischer Patronanz ein „Beschäftigungsprojekt“: den Bau eines siebenundfünfzig Kilometer langen Fernwanderweges durch den wildesten Teil des hier dramatisch zerklüfteten Velebit-Gebirges.
Die Gruppe rund um Christian Hlade lässt sich drei Tage Zeit für diesen Traum- und Genuss-Trail – und zum Staunen über die Kunstwerke aus bleichen, geriffelten Karstfelsen, über die üppige, bunte Blumenpracht, über eine Hornviper, über in den Alpen längst verschwundene Schmetterlingsarten, über die weißen Fähren, die tief unten durch die Adria pflügen.
Hlade erinnerte sich an seine jugendliche Wanderung auf dem Premužić-Trail, als er viele Jahre später mit der Familie Urlaub an der Küste Dalmatiens machte. Allmählich reifte in ihm ein Plan: Dieser Weg müsste sich doch nach Süden fortsetzen lassen, bis zum Nationalpark Paklenica.
Lockdown-Projekt der anderen Art
Zu Fuß und per Mountainbike erkundete er Routen. Er kaufte Karten, studierte GPS-Tracks und zog mit seinem lokalen Partner Edo los, Chef einer Outdoor-Agentur und bekennender Karsthöhlen-Fan. „Es war unser Lockdown-Projekt“, sagt Hlade. „Schnell war klar: Das wird wild und einsam. Logistisch anspruchsvoll. Ein echtes Abenteuer.“
Vor allem dann, wenn sich die Bora aufbaut. Die Trekker kämpfen gegen Sturm und Regen, werden bei Windstärke acht gebürstet. Und fühlen sich doch lebendig wie nie an diesem „bad hair day“. Helfen einander, halten zusammen und bekommen ein Gespür für das harte Leben der Bauern.
Apachen-Kulisse
Als die Bora nach zwei vollen Tagen einschläft, wandern sie durch seltsam vertraute Landschaften. Ja. Hier wurden die meisten Szenen für die Winnetou-Trilogie gedreht. Der Apachen-Häuptling aus der Feder des Sesselpupsers Karl May wurde zuletzt ja wieder Gesprächsthema.
Milka und Petar Marasović, die die Gruppe im fast ausgestorbenen Weiler gleichen Namens (Marasovići) für eine Nacht beherbergen und mit Suppe, Gulasch, Schnaps und Pivo aufpäppeln, ist das einerlei. Petar ist jenseits der siebzig und kann nicht mehr so gut gehen. Doch er will die Sommer nach wie vor hier oben verbringen. Bei den weißen Hirtenhunden, groß wie Kälber, die dennoch nicht verhindern konnten, dass sich die Wölfe den Welpen seiner Hündin schnappten. Ja, es geht manchmal ruppig zu auf dem Velebit.
Erst am letzten von sieben Wandertagen nähern sich die Truppe im Nationalpark Paklenica allmählich der Zivilisation. In der Hütte von Marijo Ramić und Tochter Nicolina gibt es ein ganzes Arsenal aus mit Rakija (Obstbrand) angesetzten Likören zum Durchkosten.
Danach geht es ohnehin nur noch bergab durch die imposante Kerbe der Paklenica-Schlucht mit den vierhundert Meter aufragenden Kalk-Mauern, die fest in der Hand der internationalen Kletterszene sind.
Plötzlich so viele Menschen auf einem Fleck zu sehen, ist fast verstörend. Wenn die Wanderer später aber bei Starigrad kopfüber in die Adria springen wollen, müssen sie da durch. Sie schaffen das, immerhin haben sie ja auch die Bora überlebt.
Info
Anreise: Zug bis Zagreb (oebb.at), dort Bus zum Dorf Krasno Polje
Weltweitwandern: Der Reiseanbieter bietet die neuntägige Reise „Velebit-Trekking mit Meerblick“ ab 1.070 € (inkl. VP, exkl. Anreise nach Zagreb) an. Weitere Reisen wie „Inselhüpfen in Dalmatien“ bei Weltweitwandern
Fauna und Flora: Kroatiens größter Gebirgszug Velebit ist mit zwei Nationalparks und 1.850 Pflanzen- und 100 Vogelarten Weltbiosphärenreservat
Unterkunft und Verpflegung: Hütte oder Zelt. Auf Hütten des Premužić-Trail gibt es teils Verpflegung (unbedingt vorher erfragen), im Süden des Velebit Essen mitbringen!
Nicht versäumen: „Galerie der Felsen“: Der Bergsteiger Slavko Tomerlin („Tatek“) hat einen sehr attraktiven Wanderweg durch das Fels-Labyrinth angelegt
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