Die Steyrer Altstadt vom Tabor, einer Anhöhe, aus gesehen

Weekender Steyr: Ein Streifzug durch eine Region voller Geschichten

Lange Zeit floss viel Geld vom Eisenhandel in Steyrs Stadtkasse, später sorgte die Industrialisierung für Aufschwung. Das zeigt sich noch heute an der Altstadt und den markanten Werksbauten.

Heute machen die großen Verkehrsverbindungen einen Bogen um Steyr. Die oberösterreichische Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern liegt weder an der Westbahn noch an der Westautobahn.

Doch jahrhundertelang war das anders: Steyr lag an der Eisenroute. Über die Enns gelangte das vom Erzberg geförderte "Schwarze Metall" hierher, wurde gestapelt, gehandelt und verarbeitet. Steyr boomte. Und das sieht man noch heute: Prächtige Bürgerhäuser am Stadtplatz mit beeindruckenden Innenhöfen, Arkaden und Fresken, die sich hinter den Fassaden verbergen.

Einer, der weiß, wo sich die besonders schönen Winkel der Stadt befinden und sich auch sonst bestens auskennt, ist Wolfgang Hack. Er ist geprüfter Fremdenführer, wird von anderen als "leidenschaftlicher Steyrer" beschrieben, hat mehrere Bücher geschrieben sowie Ausstellungen kuratiert. "Steyr war die zweitwichtigste Stadt nach Wien", sagt er. "Die Stadt hat Maximilian I. viel Geld geliehen. Das hat er nie zurückgezahlt." Das wird kaum ins Gewicht gefallen sein, denn Steyr unterhielt als eine der wenigen römisch-deutschen Städte Handelsbeziehungen mit Venedig.

Einkaufen am historischen Stadtplatz beim traditionellen Wochenmarkt am Donnerstag und Samstag

©Wolfgang Spekner

Ein misslungener Markuslöwe gab indirekt einem Wahrzeichen Steyrs, dem Bummerlhaus, seinen Namen: In dem gotischen Gebäude mit Spitzdach residierte das "Gasthaus zum Löwen", über dessen Eingang eine goldene Löwenfigur wachte. "Die Einheimischen machten sich darüber lustig und sagten: Das ist kein Löwe, das ist höchstens ein Bummerl, also ein dicker Hund", erklärt Hack.

Fast gegenüber steht das Rokoko-Rathaus mit Zwiebelturm und Balustrade, das ein wildes Wesen als Wappentier trägt. "Das ist ein Panther, der aus allen Körperöffnungen Feuer speit." Im Laufe der Jahre hat das Wappentier jedoch einiges an Feuer eingebüßt. Heute sieht das Stadtwappen fast genauso aus wie das der Steiermark – nur der Hut fehlt.

"Einst verkehrten hier Züge, die Holz transportierten. Heute nutzen Radfahrer die breiten Wege, Tunnel und Brücken im Nationalpark Kalkalpen."

©Oberösterreich Tourismus GmbH/Erwin Haiden

Sicher und gefährlich

Über eine schmale Straße, die – wie passend – Enge Gasse genannt wird, führt der Weg hinauf zum Schloss Lamberg. Dort residierten die mächtigen, später jedoch finanziell ruinierten Grafen Lamberg. Ihre beeindruckende Privatbibliothek mit 12.000 Bänden ist bis heute unverändert an Ort und Stelle geblieben. Im Innenhof befinden sich jetzt das Polizeikommissariat und das Standesamt. "Hier ist der sicherste und der gefährlichste Ort Steyrs", sagt Hack mit einem Grinsen. Auf die Auflösung, welcher Ort was ist, wird zu seinem Schutz verzichtet.

Schutzlos war Steyr lange bei schweren Unwettern. Die an sich malerische Lage am Zusammenfluss von Enns und Steyr brachte der Stadt verheerende Hochwasser – zuletzt im Jahr 2002. Doch, wie Hack es sieht, überwogen in der Vergangenheit die Vorteile des Wassers. Wichtig war stets der Wehrgraben, ein Seitenarm der Steyr, wo sich im Steyrdorf Handwerker niederließen. Was früher als Glasscherbenviertel verschrien war, hat heute einen ganz besonderen Charme: enge Gässchen, kleine Häuschen.

Dampfende Nostalgie, schöne Landschaft: Die Steyrtal-Museumsbahn fährt am Wochenende regelmäßig bis Ende September  

©Kraft Josi

Am Wehrgraben begann auch der Aufstieg des Industriellen und Waffenproduzenten Josef Werndl. Er entwickelte mit Karl Holub den Tabernakelverschluss für Hinterladegewehre. Nach Österreichs Niederlage bei Königgrätz aufgrund veralteter Vorderladergewehre wurde er damit äußerst wohlhabend. Er brachte Strom aus Wasserkraft nach Steyr, ließ Wohnungen und ein Arbeiterbad errichten. 

Außerdem war er ein passionierter Wirtshausbruder, um den sich Anekdoten ranken. "Einmal ließ er jemandem die Haustür zumauern, damit dieser nach dem Wirtshausbesuch nicht mehr nach Hause findet", erzählt Hack. Seine Familie besaß einst die Hack-Werke, die Messer und Besteck herstellten. Der Großvater erfand den Wellenschliff für Brotmesser. "Leider hat er es nur versäumt, ihn rechtzeitig zum Patent anzumelden." Aus Steyr stammt viel Berühmtes und es zog Prominente an. Franz Schubert war oft hier und begeistert von den schönen Töchtern der Stadt. Ein Steyrer gab das Forellenquintett bei ihm in Auftrag.

Auf den Hütten im Nationalpark gibt es Bodenständiges 

©Franz Sieghartsleitner

Und dann war da Anton Bruckner, der hier 20 Sommer verbrachte, im Pfarrhof wohnte und mit einer Apanage eines Konsortiums reicher Bürger versorgt wurde. Hack lässt es wenig subtil durchklingen, dass er nicht versteht, warum Linz heute als Brucknerstadt gilt – und Steyr nicht. Schließlich schrieb Bruckner hier die 8. und 9. Symphonie oder gab Empfehlungen für den Umbau der Orgel in der Stadtpfarrkirche ab. Anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten im Jahr 2024 hat Hack auch eine Ausstellung im Mesnerhaus kuratiert.

Dorthin ging Bruckner – zum Ärger der Pfarrersköchin – zur Frau des Mesners, weil diese besser kochte. So kraftvoll er bei seinen Werken war, so leidenschaftlich schmauste er auch: Er wollte jeden Tag Fleisch. Und vom Vatikan ließ er sich eine Befreiung vom Fasten ausstellen.

Eine Region für Genießer: Klemens Schramls Kreationen Restaurant RAU  in Großraming sind vielfach prämiert

©RAU/Bruno Augsburger Photography

Genießen kann man in Steyr und Umgebung immer noch hervorragend. Knapp am Eck, Rahofer, Rau in Großraming – diese Namen sind weit über Oberösterreich hinaus bekannt. "Wir haben einfach immer schon gerne gut gegessen", meint Hack.

Da schadet etwas Bewegung nicht. Im 30 Kilometer entfernten Reichraming wartet schon Franz Sieghartsleitner im Radlerdress und mit E-Bike ausgestattet, für eine Tour durch den Nationalpark Kalkalpen – ein Gebiet voller unberührter Wälder, Bäche und Schluchten. Es gibt wohl wenige, die sich hier besser auskennen.

Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass …

  • … der Fußballklub SK Vorwärts Steyr die Bundesliga-Saison 1995/96 mit nur sechs Punkten und ohne Sieg abschloss? Der Abstieg war unausweichlich.
  • … Steyr ab 1884 die erste größere Stadt der Welt war, in der es Strom aus Wasserkraft gab? 
  • … es in Steyr das "Postamt Christkindl" gibt, das jedes Jahr vor Weihnachten Hunderttausende von Briefen und Karten aus aller Welt erhält?  

Sieghartsleitner ist ein Nationalpark-Initiator der ersten Stunde und hat dementsprechend viel zu erzählen. Vor rund 40 Jahren stieg er mit Mitstreitern gegen den Bau eines Kraftwerks im Reichraminger Hintergebirge auf die Barrikaden. Bis zu 100 Meter hoch sollte damals das Wasser aufgestaut werden. "Die Stimmung war schon sehr aufgeheizt", erinnert er sich, bleibt stehen und zeigt, wo die Staumauer hingekommen wäre. 

Schützenhilfe bekamen die Gegner durch den Strompreis: Energie aus dem Hintergebirge galt als zu teuer, und die Pläne wurden verworfen. 1997 wurde das Schutzgebiet offiziell eröffnet, und es hat sich seitdem hervorragend entwickelt. "Es gibt keinen Nationalpark mit einem höheren Waldanteil", schwärmt Sieghartsleitner und wirft mit weiteren Superlativen um sich: Hier leben unzählige Käferarten, darunter 41 bestätigte Urwald-Relikte wie der Alpenbock und der Große Flachkäfer. Außerdem gibt es 42 Orchideenarten, und die mit 550 Jahren älteste Buche im Alpenraum steht hier.

Ich packe in meinen Koffer...

  • … Fernglas für den Nationalpark Kalkalpen, um  Vögel und andere Tiere zu beobachten. Der Luchs kommt eher nicht vor die Linse.
  • … Kleidung für den Abend: In der Stadt Steyr gibt es nicht nur gute Restaurants und Wirtshäuser, sondern auch einige Bars.
  • … Das Buch "Das Y im Namen dieser Stadt. Ein Steyr Lesebuch" von Erich Hackl und Till Mairhofer.  

Wo der Zug fuhr, fahren RadlerAus der Region stammte früher das Brennmaterial für die Eisenverarbeitung. "Während des Ersten Weltkriegs und in den Jahren danach konnte das Holz jedoch nicht verarbeitet werden – der Borkenkäfer vernichtete riesige Mengen davon", erzählt Sieghartsleitner. Um den verbliebenen Bestand schnell zu retten, wurde eine Bahnstrecke mit rund 40 Kilometern Gleisen, Brücken und dunklen Tunneln gebaut. Doch die Bahn erwies sich als zu teuer und wurde in den Siebzigerjahren stillgelegt. Heute profitieren die Radfahrer von den breiten Wegen, die oft entlang plätschernder Bäche führen.

"Da ist der Borkenkäfer", sagt Sieghartsleitner, hält an und zeigt auf einige kahle Bäume. Doch anders als früher richtet der Borkenkäfer in der heute funktionierenden Natur keinen großen Schaden mehr an. Wo die geschwächten Fichten verschwinden, wächst robuster Wald nach.

Wieder bleibt er stehen: "Hier wollte die Voest-Alpine-Tochter Noricum Anfang der Achtzigerjahre einen Kanonenschießplatz errichten." Auch hier zeigte sich der zivile Ungehorsam. Neben einem Rastplatz taucht eine Luchs-Skulptur auf, die an den angesiedelten Luchs Juro erinnert, der von einem Jäger erschossen wurde. Die Angelegenheit kam 2015 ans Licht, als sie durch eine betrunkene Wirtshausgeschichte aufgeflogen war. Ermittler fanden später den Kadaver in der Tiefkühltruhe eines Präparators.

Und dann geht es bergauf, steil bergauf. Selbst mit Unterstützung des E-Motors ist der Anstieg anstrengend. Da sagt auch Sieghartsleitner vorerst nichts mehr. Doch nicht lange – auf der Blahbergalm, bei der Jause, schwärmt er wieder über den Nationalpark.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare