Kloster auf der Gezeiteninsel Mont Saint Michel

Weekender Normandie: Surreal schön im Frühling

Die Gezeiteninsel Mont Saint Michel hebt sich wie ein unwirkliches Märchenschloss aus der seichten Bucht.

Überblick

Anreise

per Zug, Auto oder Flugzeug und dann mit dem Auto/Zug

Einwohner

ca. 3,3 Millionen

Währung

Euro

Das erste Mal ist das berühmte Kloster Mont Saint Michel zu sehen, als es noch eine Stunde Fahrt entfernt liegt. Auf der Aussichtsplattform an der Autobahn-Raststätte deutet ein Pfeil in seine Richtung. Hinter langen Feldern und sanften Hügeln ist es dunkel auszumachen; imposant, kegelförmig und auf seltsame Weise unheimlich.

Die Besitzerin der Frühstückspension hatte noch einen Tipp mit auf den Weg gegeben: Für den besten Blick durch das geschwungene Flussbett lohne es sich, in der Ortschaft davor Ausschau zu halten, nach einem Schild mit Schaf und durchgestrichenem pupsendem Hund. Wonach? Aber da war sie schon in der Küche verschwunden.

Das Schild steht in La Rive. Der Hund pupst auf dem Schild natürlich nicht; die Wolke hinter ihm dürfte die Geschwindigkeit suggerieren, die den Schafen zuliebe unterlassen werden soll. Das war ein guter Tipp mit der Aussicht: Die symmetrischen, schmalen Windungen, die aussehen, als hätte jemand in perfekten Slalomkurven das Flussbett des Couesnon präpariert, ziehen direkt ins Meer, aus dessen Sand sich niedliche Fachwerkhäuser und das thronende Kloster erheben: Das also ist die Gezeiteninsel Mont Saint Michel. Sie ist – so abgedroschen das Wort doch klingt, fällt doch kein passenderes ein – atemberaubend schön.

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Spätestens jetzt wird klar: Beim Strandurlaub in Frankreich denkt man zwar schnell an den exklusiven Süden – an Nizza, Saint-Tropez oder die Côte d’Azur. Doch wer weite Sandstrände, eindrucksvolle Küsten, charmante Ortschaften und fabelhafte Küche sucht, der wird auch hier im Nordwesten des Landes fündig: in der Normandie.

Schlendern durch die kleinen verwinkelten Gässchen  – vorbei an charmanten, schmalen Häusern und niedlichen Boutiquen in der bunten Hafenstadt Honfleur

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Charmante Châteaus 

Der Anfang dieser Reise ist geschichtsträchtig. Im niedlichen Bayeux geht es durch die schmale Rue Saint-Martin zwischen kleinen Boutiquen und Stuckfassaden bergab. Wenn man am Fluss Aure rechts abbiegt, passiert man Steinhäuser mit bunten Balkonblumen, kommt an der riesigen Holzmühle vorbei und landet in der Allée des Augustines vor einem bordeauxroten, meterhohen Eingangstor. Im Museum dahinter hängt die Tapisserie von Bayeux, der Wandteppich der Königin Matilda

Ein Kunstwerk, das mit Wollfäden in Leinen gestickt, die Geschichte von Wilhelm dem Eroberer erzählt. Ein Teppich, der nicht nur wegen seiner feinen Verarbeitung UNESCO-Welterbe wurde, sondern auch weil er ein einmaliges Zeugnis aus dem Mittelalter ist und wie kaum ein anderes Dokument Auskunft über Burghügel, Seefahrttradition und die Beschaffenheiten von Rüstungen gibt.

Bayeux ist aber nicht der einzige Ort, an dem sich malerische Szenerie mit dramatischer Geschichte mischt. Am Place du Vieux Marché im gotischen Städtchen Rouen sticht ein Metallkreuz in den Himmel. Es markiert jene Stelle, an der Jeanne D’Arc, 1431 der Ketzerei und Zauberei bezichtigt, verbrannt wurde. Um ihr zu gedenken, findet jedes Jahr rund um ihren Todestag Ende Mai ein Festival mit Mittelalterständen und Straßenkünstlern statt.

Schlemmen erlaubt

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Aber auch die eindrucksvollen Küstenabschnitte der Nordküste laden neben dem Flanieren zum Erkunden ein: Am malerischen Gold Beach fällt der Blick auf die Soldaten-Skulpturen, die wie Amphibien aus der Erde zu kriechen scheinen. Eine Erinnerung an die "Operation Overlord", so der Deckname für die Invasion in der Normandie. Als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg mehr als 5.000 Schiffe und Landungsboote einsetzten, um mit 150.000 Soldaten zur Befreiung Frankreichs anzurücken. Am 6. Juni jährt sich die größte Invasion in der Geschichte der Kriegsführung zum 80. Mal.

Doch all diese Schauplätze schlägt der Besuch der Gezeiteninsel in den Schatten, der wir uns nun in einem Shuttle und dann zu Fuß nähern.

Der Traum eines Klosters

Der Legende nach beginnt die Geschichte von Mont Saint Michel im Jahr 708, als Erzengel Michael dem Bischof Aubert dreimal im Traum erschienen und ihn gebeten haben soll, ihm zu Ehren auf der Insel Mont-Tombe doch ein Heiligtum zu errichten.

Später setzte Herzog Richard die Benediktinermönche auf der Insel ein und der Bau einer Abteikirche begann, die heute noch auf der Spitze der Insel thront und von der man herrliche Ausblicke genießen kann – noch einmal mehr, wenn ausgerechnet beim Erreichen der Spitze, die Sonne durch die Wolken bricht.

Dieser Urlaub führt an die Geburtsstätte des weichen Camemberts und des samtigen Calvados und zu Auster-Spezialitäten

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Auch die schmalen Gässchen mit ihren niedlichen Steinhäusern, historischen Laternen und verschnörkelten Straßenschildern am Hang ziehen in ihren Bann. Man vergisst, wie viele Stufen und Anstiege es hinauf und wieder hinunter geht. Ja, so schnell vergeht der Tag, dass man sich um 18 Uhr in der Schlange der Wartenden einreiht, die einen Platz in einem der wenigen Restaurants auf der Insel ergattern wollen. So ein Glück: Es gibt einen Tisch mit Blick auf das seichte Meer. Das Brot zur Vorspeise ist knusprig und warm, der gebratene Lachs zerfällt im Mund und der Schokoladenkuchen zur Nachspeise hat einen heißen, flüssigen Kern.

Kuriose Fakten. Wusstet ihr, dass …

… 300 verschiedene Apfelsorten in der Normandie wachsen? Ihre Mischung kreiert den einmaligen Geschmack des Calvados Apfelbranntweins.
… Claude Monet die Seerosenblätter in seinem Garten in Giverny täglich polieren ließ – um die Russrückstände vorbeifahrender Züge zu entfernen?
…  dass die eindrucksvolle Gezeiteninsel Mont Saint Michel Schriftsteller J. R. R. Tolkien zur Stadt  Minas Tirith in „Der Herr der Ringe“ inspirierte? 

Es ist – aber wie könnte es in Frankreich anders sein? – ein Urlaub für Genießer und Feinschmecker: In jeder Ortschaft locken Patisserien mit buttrig weichen Pains au Chocolat oder Erdbeer-Tartelettes, die mit feiner Vanillecreme gefüllt sind. In Honfleur, dessen bunter Hafen mit den schmalen, aneinandergerückten Häusern an Amsterdam oder Stockholm erinnert, ködert eine Boulangerie mit knusprigem Baguette, das mit weichem Brie und sonnengereiften Paradeisern belegt ist. Und die von außen so unscheinbare Brasserie Le Trot in der kleinen Ortschaft Trévières serviert am Abend Steak so saftig und auf den Punkt zubereitet, dass es einem Haubenlokal würdig ist und man am nächsten Tag gleich wieder kommt.

Staunen und die Kraft der Elemente spüren an der Alabasterküste bei Étretat 

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Flüssiges Bernstein 

"Wollt ihr einen Schluck kosten?", fragt eine Verkäuferin beim Spaziergang an der Promenade des Küstenorts Port-en-Bessin. Und weil der Wind an dem Tag an den Jacken zerrt, folgt man gerne ins niedrige Geschäftslokal. Das Getränk, das sie reicht, ist bernsteinfarben. "Und?", fragt sie neugierig. Der Geschmack ist scharf und dabei überraschend blumig, holzig und doch süß. Es handelt sich um Calvados, normannischen Apfelbranntwein, der bis zum Zweiten Weltkrieg als Bauernschnaps gehandelt wurde, doch seit der Ankunft der Alliierten bis nach Japan verschickt wird.

Calvados ist nicht die einzige französische Delikatesse, die ihren Ursprung in der Normandie hat. Am östlichen Rand der Normandie inmitten saftiger Wiesen und kurviger Landstraßen liegt die Ortschaft Vimoutiers, auf deren Hauptplatz die weiße Statue einer Bäuerin steht. Sie wurde zu Ehren von Marie Harel aus dem 17. Jahrhundert errichtet.

Bayeux 

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Marie hatte schon als Kind gelernt, Käse zu machen und ihn sonntags am Markt zu verkaufen. Das wurde wichtig, als die Familie während der französischen Revolution zu Geldnöten kam und der Vater am benachbarten Landsitz arbeiten musste. Eines Tages soll dann der erschöpfte Priester Charles-Jean Bonvoust an ihre Tür geklopft haben; er war aus politischen Gründen auf der Flucht. Marie bot ihm Zuflucht und aus Dank verriet er alles, was er über die Käseherstellung wusste – auch das Rezept eines besonders weichen Käses mit essbarer Schale. Als sie das nächste Mal auf den Markt ging, brachte sie eine neue Sorte mit und präsentierte ihn als: Camembert.

Bayeux ist nicht nur als Ort besonders herzig; die Stadt verwahrt mit dem Wandteppich von Bayeux auch ein UNESCO-Welterbedokument 

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In der gleichnamigen Ortschaft nur ein paar Autominuten von Vimoutiers können Besucher in der Käserei La Maison du Camembert dann nicht nur über die Herstellung des Käses lernen, sondern ihn auch verkosten. Buttrig und weich; würzig doch mild. Es lohnt sich, ein paar Stücke mitzunehmen. Fürs Abendessen braucht es dann lediglich noch ein warmes Baguette, frische Weintrauben und einen Rotwein. Ganz einfach und doch – das haben die Franzosen eben perfekt verstanden – einfach köstlich.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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