Als die Skispringer in Wien von den Sprungschanzen abhoben
Die Vierschanzentournee startet. Millionen sind vorm Bildschirm dabei. Auch Wien war einst ein Mekka für Skispringer.
Für viele ist sie auch heuer wieder ein Fixpunkt vorm Fernseher, auch wenn viele den Namen des Siegers im nächsten Jahr wieder vergessen haben werden: die Vierschanzentournee. Was bleibt, sind die Bilder der architektonisch ansprechenden Schanzen (das unspektakuläre Teil in Bischofshofen lassen wir außen vor) mit den Austragungsorten im Hintergrund.
Jetzt nichts gegen Innsbruck oder Garmisch-Partenkirchen. Aber es gab einmal eine Zeit, da war rund um eine Sprungschanze mehr Stadt. Auch wenn es wegen der Hubertusmäntel, Dackel und Hüten der dortigen Menschen nicht unbedingt nach Urbanität ausgesehen hat. Tausende Bewohner pilgerten dereinst zu drei Anlagen in der Stadt Wien, wo sich Wagemutige hinabstürzten. Sie alle gingen in der Zwischenkriegszeit in Betrieb.
Um 1900 hatte es bereits kleinere Anlagen in Pötzleinsdorf oder Neuwaldegg gegeben. Der Wiener Arbeiter-Turnerverein baute dann 1929 am Wiener Hausberg Cobenzl eine Schanze. Zehntausende Menschen kamen zu den Wettbewerben, wo nach Ausbauten um 1940 Weiten von fast 60 Metern erreicht wurden. Im austrofaschistischen Ständestaat, der den Arbeiter Turnerverein auflöste, wollte man um die Schanze noch eine große Skiarena bauen. Daraus wurde nichts. Und auch die Schanze verlor ab den 40er-Jahren an Bedeutung.
Olympiasieg für Architektur
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sie wiederbelebt werden. Die Pläne waren ambitioniert. Adolf Hoch gewann mit seinem Anlagen-Projekt bei den Olympischen Sommerspielen 1948 in London in der letztmals ausgetragenen Disziplin Architektur die Goldmedaille. Aber auch diese Pläne wurden nicht verwirklicht.
Das Wiener Skisprung-Geschehen wanderte zusehends in den Westen der Stadt - nach Hadersdorf-Weidlingau, das von den Nationalsozialisten 1938 eingemeindet worden war. Hier sprangen die Athleten umgeben vom Wienerwald auch am weitesten. Bis zu 70 Meter waren möglich. Viele Springer gingen hier über den Balken. Aber der Zahn der Zeit, neuere Anlagen und der vermehrt ausbleibende Schnee in der Bundeshauptstadt setzten dem Treiben ein Ende. "1969 gab es – nie verwirklichte – Pläne, auf ihrem Gelände eine neue Sprungschanze zu errichten und mit künstlichem Schnee, der seit 1966 auf der Hohen-Wand-Wiese erzeugt wurde, zu versorgen", schrieb Walter Öhlinger vom Wien Museum.
Nicht weit von der Rekordschanze gab es ab1949 eine hölzerne Anlage am Himmelhof in St. Veit. Besonders vorteilhaft fürs Publikum: Zur Anlage am Himmelhof beim Lainzer Tiergarten konnte man mit der Stadtbahn (bis Hütteldorf) fahren. Und 20.000 Menschen, die zu den Wettkämpfen kamen, waren keine Seltenheit. Aber auch hier war die Begeisterung nach einiger Zeit verflogen.
1978 ging der letzte Wettbewerb über die Bühne. Der Steirer Hans Rinnhofer war der letzte Sieger - 42 und 43 Meter sprang er damals noch. Im Training knackte er sogar noch mit 46 Metern den Schanzenrekord. Das Feuer der Begeisterung war dennoch vorbei, die Holz-Schanze ging 1980 in Flammen auf. Eine Einbrecherbande hatte dort zu heftig - und fahrlässig - gefeiert.
Wünsche nach einer Schanze in oder um Wien kochten seitdem immer wieder hoch. Für den Himmelhof haben sich etwa im Jahr 2002 Studenten der Technischen Universität Wien einen Plan überlegt und den „Ingenieurpreis der österreichischen Beton- und Zementindustrie“ gewonnen.
Ein paar Jahre später sagte der damalige Bürgermeister Michael Häupl 2009 zur Wiener Zeitung. "Nicht nur angesichts der aktuellen, sondern aufgrund der langfristigen Attraktivität des Sports ist eine Schanze in oder um Wien sicherlich eine gute Idee". Und er wies darauf hin, dass es ohnehin in Ballungszentren einige Weltcup-Schanzen gibt - etwa in Innsbruck oder in Oslo mit dem Holmenkollen: "Das hat durch die Nähe zur Sportstätte natürlich hohe Attraktivität. So wie beim Ski-Weltcup am Semmering - da waren ja unfassbar viele Zuschauer."
Nationalstadion mit Schanzentisch
Der damalige ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel sorgte 2018 mit einem Interview im Kurier dafür, dass die Diskussion um eine derartige Anlage in der Hauptstadt wieder angefacht wurde. Er berief sich auf einen Nationalstadion-Entwurf, das der Ingenieur Kurt Zöchling unter "Arena Austria" propagiert hatte. Dieser hat - auch heute noch - die Vision von einem Happel-Stadion mit angegliederter Skipiste und Schanze.
"Es gäbe da eine Mega-Geschichte für Wien", meinte Schröcksnadel. Das "Projekt ist gut und meiner Meinung nach lohnt es sich, da dran zu bleiben. Man könnte das Happel-Stadion zu einem Multi-Funktionsstadion umbauen. Für den ganzen Ballsport, für Events, und auch für Skisport." Natürlich koste das viel Geld, aber eine Überlegung wäre es wert, meinte er damals. "Stellen Sie Sich einmal vor ein Skispringen vor 60.000 Menschen in Wien, man könnte dort sogar einen Parallelslalom fahren. Ich weiß, das ist ein Projekt, das viel Fantasie hat, aber ich will es unterstützen."
Auf eher wenig Begeisterung stieß das Projekt beim damaligen Sportminister Heinz-Christian Strache. Der erteilte den hochtrabenden Plänen eine Absage. Aber wer weiß, vielleicht tut sich wieder einmal etwas? Beim Skispringen in Wien. Oder zumindest bei den Träumen davon.
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