Die rote Stadt: Ein Roadtrip rund um Marrakesch
Marrakesch sollte die verführerische Stadt genannt werden – die betörende, die magische. Wer sich in den Gassen der Souks verliert, verliert vielleicht auch sein Herz hier in Nordafrika.
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Von Wien nach Marrakesch (RAK) Nonstop in 4 Std.
Marokkanischer Dirham (MAD)
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Es sind nur wenige Stunden Flug von Wien aus – doch diese katapultieren einen in eine völlig andere Welt. Plötzlich steht man in Afrika, wenn auch vielleicht in der Light-Version. Wer den Flughafen Marrakesch verlässt, muss sich definitiv erst orientieren. Das Tempo ist ein anderes, die Farben, Gerüche – einfach alles. Darauf muss man sich einlassen. Wer durch die Gassen wandert, darf etwa nicht nur die schönen Berber-Teppiche im Auge haben, die von den Mauern hängen, sondern auch die vorbeibrausenden Mopeds, die den roten Sand aufwirbeln. Und wer seinen Weg durch die Labyrinthe der Souks zurück zum Epizentrum der Stadt, dem Djemaa el Fna (kurz „La Place“) sucht, sollte sich vorher eine Offline-Karten-App aufs Handy runtergeladen haben. Ansonsten läuft man Gefahr, von Kindern, die einem mehr oder weniger bemüht den Weg weisen, um etliche Dirham erleichtert zu werden.
Klingt stressig? Ja, die knapp 1 Million Einwohner zählende Stadt ist durchaus kräftezehrend, aber: Sie kann auch ganz anders. Insbesondere auf den Dachterrassen in der Medina, also der Altstadt, und in den Patios der Riads, das sind die kleinen Gasthäuser, von denen es um die 1.000 geben soll. Eines ist schöner als das andere und kein Gebäude der Stadt hat mehr als fünf Stockwerke! „Marrakesch ist eine magische und energetische Stadt“, schwärmt auch Laurence Leenaert. Die Belgierin zog 2015 nach Nordafrika, mit im Gepäck: Ihr Modelabel „LRNCE“. „Ich habe mich in einer neuen Welt wiedergefunden – voll an Herausforderungen.“ Die damals 25-Jährige nahm sich die Zeit, das Handwerk, für das Marrakesch bekannt ist, kennenzulernen. Seit sieben Jahren arbeitet die Kreative nun mit den exakt gleichen Ateliers zusammen. „Die Geduld, mit denen gearbeitet wird, beeindruckt mich. Die Menschen nehmen sich ein ganzes Leben lang Zeit, um ein Handwerk zu erlernen und weiterzugeben. Sie kreieren mit solch einem Stolz und einer Sinnhaftigkeit, die ihresgleichen sucht“, schwärmt die Unternehmerin.
Die Vasen, Textilien und Objekte – wunderschön: der mit Teppich umrandete Spiegel „Illou“ – fangen den Spirit der Königsstadt im Schatten des schneebedeckten Atlasgebirges ein. Die Farben: warme Erdtöne, für Leenaert die typischen Nuancen der Stadt, abgesehen vom Blau des Himmels und dem Rotpink der Wände. Die Linien, die sich durch ihre Entwürfe wie ein bunter Faden ziehen, scheinen überall und nirgends zugleich hinzuführen, eine schöne Metapher für das Leben in den Souks. In einem früheren Interview gab die Wahl-Marrakchi an, Inspiration darin zu finden, sich in den endlosen Gassen zu verlieren. Das passiere nach sieben Jahren nicht mehr so häufig, lacht sie. Ihr Studio findet sich jenseits der 12 Kilometer langen, die Medina umschließenden Mauer im Stadtteil Sidi Ghanem, in dem – so die Auswanderin – sich gerade viel tut. Hippe Geschäfte und Lokale machen auf, in Wien würde man das Label Gentrifizierung draufpicken. Leenaert selbst eröffnet noch dieses Jahr ein eigenes Riad mit dem Namen „Rosemary“ und zeigt ab 15. September auch ihre Bilder – allerdings in London.
Die Würze des Reisens
Natürlich lohnt es sich in Marrakesch, wie in jeder anderen Stadt, einen gewissen Plan zu haben, was man sehen möchte. Das „Maison de la Photographie“, die „Jardins Majorelle“, das Yves-Saint Laurent-Museum oder die Koranschule – das alles gehört dazu. Aber der Charme dieser Stadt versteckt sich in den Dingen, die passieren, während man Pläne schmiedet. Mitten in den Technicolor-Souks über eine wackelige Leiter auf eine Dachterrasse zu klettern und dort die vielleicht beste Tajine der Stadt – zumindest die beste für genau diesen Moment – zu kosten. Bei einem Glas Nana-Minztee dem Treiben auf dem Djemaa el Fna folgen, das ist besser als jedes Hollywood-Kino.
Ein paar Worte noch zum „Platz der Gehängten“ bzw. „Platz der Gaukler“. Er ist ein Muss, alle Wege führen irgendwann hierher. Von Boxkämpfen über Schlangenbeschwörung untertags zu Garküchen und Laternen-Verkäufern nachts. Es ist ein Spektakel! Man sollte aber wissen, dass die Schausteller fürs Fotografieren Geld wollen, gerne auch mal mehr als vereinbart. Und nicht selten landet eine Schlange auf den eigenen Schultern. Je nach Phobie ist es daher vielleicht ratsam, das Kleingeld an einem der unzähligen Stände loszuwerden, die frisch gepressten Orangensaft offerieren. Und wer nach einem Bad in den Garküchen-Rauchschwaden wieder durchatmen möchte, zieht weiter in die modernen Bars von Gueliz oder den hippen Lokalen in der Altstadt, wie dem „Le Jardin“ (probieren: das Hühnersandwich!).
Ein Kaftan für Sharon StoneIn letzterem findet sich auch der erste Shop von Designerin Norya Nemiche, deren Kaftan-Kreationen schon Sharon Stone und Monica Bellucci begeistert haben. Nemiche ist zwar gebürtige Französin, aber mit afrikanischen Wurzeln und lebt seit 20 Jahren in der Stadt der Städte (so die Übersetzung von „Marrakesch“), die dem Land Marokko sogar zu seinem Namen verholfen hat. Die fließenden Gewänder spielen in einer ganz anderen Liga als alles, was man in den Souks finden kann, egal, wie gut man sucht und verhandelt. Ihr Label „Norya Ayron“ ist eine absolute Empfehlung für ein Lieblingsstück! Seit kurzem findet man die Designerin auch in einem zweiten Shop in Gueliz. Und wenn nicht dort, dann vielleicht in der Nachbarschaft, bei einem Kaffee im „Café de la Poste“ (fotogener Kolonialstil!) oder in der Bäckerei „Amandine“. Der süße Geruch ofenfrischen Gebäcks reiht sich nahtlos ein in das olfaktorische Gesamtkunstwerk Marrakesch. Gewürze wie Ras el Hanout und Harissa, Aromen von Moschus und Ambra und der alles umhüllende Geruch von gegrillten Speisen – dieses zufällige Arrangement des Alltags streift oft nur das Bewusstsein der Besucher und bleibt doch ewig in diffuser Erinnerung. Es ist diese Sinnesfülle, die Reisende zutiefst berührt. Oder wie es Yves Saint Laurent, der große Zieh-Sohn der Wüstenstadt, einst beschrieb: „In dieser Stadt habe ich Farben entdeckt.“
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