Null-Stern-Suite: Ein Bett am Berghang unter freiem Himmel

Hotellerie anders gedacht. Für ein freies Doppelbett in der Landschaft stehen schon 6.000 Leute auf der Warteliste.

Von Ingrid Greisenegger

Die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin sind Konzeptkünstler, die in St. Gallen mit ihrem „Atelier für Sonderaufgaben“ seit 20 Jahren provokante Konzepte für Alltag und Wirtschaft entwickeln und in den öffentlichen Raum tragen. Wer kreative Geschichten und ein markantes Alleinstellungsmerkmal sucht, liegt bei dem Brüderpaar richtig. Wie beispielsweise eine Schweizer Glasbau-Firma. Bei ihr ließen die Riklins einen Teil eines Büros mit einer Motorsäge zerschneiden und brachten das ausgeschnittene Büro mithilfe eines Teleskopstaplers auf die Straße, inclusive Verkaufsleiter, der von dieser Position aus an Hausfassaden seine Telefonakquise über die Fensterbank von potenziellen Kunden vollzog. „Da kann man dann einfach nicht widerstehen“, befindet eine Kundin hoch amüsiert.

Die Null-Sterne-Suiten werden von Butlern betreut, die auch eine Ausbildung im Bettenmachen bei Windböen und im Getränkeservieren im Steilhang genossen haben. Weißes Hemd, schwarze Fliege und weiße Handschuhe gehören zum Dresscode 
 

©Zero Real Estate

Nicht widerstehen konnten auch sechs Tourismus-Organisationen in der Ostschweiz und eine in Liechtenstein, als die Riklin-Brüder gemeinsam mit dem Hotelexperten Daniel Charbonnier unter dem Label „Zero Real Estate“ das Konzept „immobilienbefreiter Hotelzimmer“ vorlegten. Es handelt sich um Übernachtungen in einsamer Landschaft in einem Doppelbett wie im 5 Sterne-Hotel, sogar mit Nachtkästchen und Lampen (gespeist aus einer Autobatterie). Aber ohne Badezimmer und weitere zivilisatorische Angebote. Ein Butler-Service hingegen ist im Preis von 295 Franken eingeschlossen. Butlerinnen und Butler stammen aus der Region und durchlaufen eine spezielle Ausbildung für die Situation draußen auf der Alp.

Darunter in der Disziplin „Bettenmachen bei starkem Wind“ (was unter dem Beschuss von Windmaschinen trainiert wird) und die Übung „Bachüberspringen mit gefüllten Gläsern auf dem Tablett“. Oben tragen die Butler und Butlerinnen korrekterweise schwarze Fliege, weißes Hemd und weiße Handschuhe, unterhalb der Gürtellinie ist Freistil erlaubt, zum Beispiel Jeans und Gummistiefel. Denn sie sind im wirklichen Leben Landwirte, die ihre Gäste auch gleich mit frischer Kuhmilch versorgen, arbeiten im Gastgewerbe oder sind von Beruf „Bügelfee“ oder Mitarbeiterin im Weinberg. Spielt das Wetter nicht mit, geleiten die „Modern Butlers“ zu nahe gelegenen „Back-up-Zimmern“.

In der Tourismusregion Safiental, auf 1700 m Seehöhe, setzten die Riklins im Jahre 2016 das erste „immobilienbefreite Hotelzimmer“ in die Landschaft  

©Zero Real Estate

Es geht dabei nicht nur um ein neues Outdoor-Erlebnis im bestdurchlüfteten Hotelzimmer der Welt. Die Philosophie dahinter ist, dass eine ganze Region zu einem imaginären Großraum zusammenwächst, unter dem weiten Himmel der Landschaft. Und mit dieser Landschaft als grandioser „Tapete“.

©Zero Real Estate

„Es ist uns klar“, sagt Frank Riklin, „dass im Fokus der Öffentlichkeit die kuriose Form der Übernachtung steht.“ Die Idee des „Null Stern Hotels“ versteht sich aber seit der Erfindung im Jahre 2008 (in einem Bunker) als eine gesellschaftliche Intervention, die den Luxus und das Wertesystem in der Hotellerie hinterfragt. „Null Stern“ bedeutet nämlich nicht Verzicht auf Komfort, sondern die Freiheit eigene Normen zu erfinden und eine Debatte über das Hotel der Zukunft auszulösen.

Die Plattform mit dem Doppelbett ist in alle Himmelsrichtungen drehbar. Weder Dach noch Wände verstellen den atemberaubenden Ausblick 

©RENE NIEDERER/appenzellerland tourism switzerland

Das Original der „Null-Stern-Suiten“, das 2016 zunächst nur als Kunstinstallation entstanden war und Kopfschütteln auslöste, ist heute massentauglich geworden. Durch die Corona-Krise konnten die „immobilienbefreiten Hotelzimmer“ im vergangenen Jahr nicht angeboten werden. Nun soll es in diesem Sommer, ab Juni, wieder losgehen, und zwar in der Westschweiz, im Kanton Wallis. 2020 standen 6.000 Personen auf der Warteliste für einen Platz im Doppelbett in der Natur. Jetzt werden die Karten neu gemischt.

zerorealestate.ch

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