Wie Linz mit Hilfe der Technologie sein graues Image ablegte
Leuchtender Hotspot: 40 Jahre Ars Electronica, 40 Jahre Klangwolke, 10 Jahre Kulturhauptstadt - ein Lokalaugenschein in Linz.
Überblick
Drehen die jetzt komplett durch? Mit der Pöstlingbergbahn haben sie die steilste Adhäsionsbahn der Welt. Mit der Linzer Torte die älteste „rezeptgültige“ Torte der Welt. Mit dem Mariendom (oder Neuen Dom) die fassungsmäßig größte Kirche Österreichs. Mit einer 111 Jahre alten Frau die älteste Österreicherin.
Und dann planen Überdrüberkreative mit Linzer Wurzeln genau hier die längste Fußgänger-Hängebrücke der Welt. Ja, dürfen die denn das? In Linz, mitten in der Provinz?
Linz verändert
Natürlich. Denn erstens stimmt das mit der Provinz längst nicht mehr. Zweitens geht gerade im Zentrum Oberösterreichs ganz schön etwas weiter. „Linz verändert“ ist nicht zufällig der Slogan der Industrie- und Kulturstadt an der Donau. Dieses Versprechen wurde 2008 postuliert, mündete ein Jahr danach in das Projekt Kulturhauptstadt und zählt seither zur DNA der nach Wien und Graz drittgrößten Stadt Österreichs.
Am 5. September beginnt das Ars Electronica Festival, zum nunmehr vierzigsten Mal. Thema diesmal ist "Out of the Box". Wobei die Aufforderung, außerhalb eingetretener Pfade und gegen jede Konventionen zu denken, hier früh auf einen Nährboden traf.
Johannes Kepler, der große Astronom, lehrte von 1612 bis 1626 in Linz. Zu einem Zeitpunkt, als ein Fernrohr noch eine absolute Rarität war, formulierte er mit „Harmonices mundi“ das dritte Gesetz der Planetenbewegung. Genau 400 Jahre ist das her. Große Namen begleiten seither die Geschichte der Stadt.
Große Namen
Mozart schuf 1783 eine Linzer Symphonie, Anton Bruckner wirkte jahrelang als Domorganist an der Orgel des Alten Doms, und die „Schöne Linzerin“, die für viele romantischste Gestalt der Literaturgeschichte, bekannt als Marianne von Willemer, wurde hier geboren. Ihren historischen Platz fand sie als Suleika in Goethes „West-östlichem Divan“. Alle von einer Suleika verfassten Gedichte stammen von der jungen Marianne aus Linz.
Kuriose Fakten aus Linz
...1904 der Philosoph Ludwig Wittgenstein ("Tractatus logico-philosophicus") und Adolf Hitler für ein paar Monate dieselbe Schule in Linz besuchten.
... die 38.500 LED-Lampen des Ars Electronica Center per Bluetooth-Handy passend zum Rhythmus Ihrer Lieblingsmusik tanzen. ars.electronica.art
Kurt Cobain beim Warmen Hans
Prominente Begegnungen der Neuzeit mögen im Vergleich dazu banal erscheinen, kursieren aber innerhalb der Szene wie Sternstunden der Menschheit. Kurt Cobain etwa, der früh verglühte Star der Rockband Nirvana, machte beim Warmen Hans eine Bekanntschaft, die ihn beinahe aus seinen Converse kippte – mit einer Käsekrainer.
Bevor der Leberkas-Pepi zur Nr. 1. wurde, war der Warme Hans der Hotspot für Nachtfalter. Langjährige Ars-Electronica-Besucher trafen bei dem legendären Würstelstand zwischen Hauptplatz und der Nibelungenbrücke das Who is Who der Medienkunst – von Nam June Paik, dem Pionier aus Südkorea, bis zum späteren Oscar-Preisträger für „Toy Story“, John Lasseter.
Technik zum Angreifen
Technik zum Angreifen kam in der Stadt mit dem grauen Stahlstadtimage von Anfang an gut an. Denn die Linzer leben nicht einfach nur in ihrer Stadt, sie beleben sie. Und das mit allen nur denkbaren Mitteln – vom Transistorradio bis zum Unterdeck eines ausrangierten Donauschiffes.
Als etwa 1979 die erste Linzer Klangwolke veranstaltet wurde, stellten Zehntausende bereitwillig ihre Radios auf Fensterbretter, auf Balkone, in Gärten und auf Autodächer, um Bruckners Achter mehr Pepp zu verleihen.
Alles auf Ars
So viel Begeisterung steckt und zieht an. Im Zuge des Ars-Electronica-Festivals und der eng damit verbundenen Klangwolke wurde Linz immer mehr zum Sehnsuchtsort. Nicht nur für Business-People, sondern auch für Städtetouristen mit einem Faible für Kultur.
Die Zahlen sprechen für sich. Zehn Jahre nach „Linz09“ hat die 208.000-Einwohner-Stadt einen Nächtigungsrekord verbucht: mehr als 800.000 Übernachtungen. Das kann sich sehen lassen. Aber Tourismusdirektor Georg Steiner, ein „Zuagraster“ aus Passau, will sich auf diesen Zahlen nicht ausruhen. Er will etwas bewirken. In den Touristen selbst. Steiner nimmt den Slogan „Linz verändert“ wörtlich und hofft: „Ein Besuch von Linz soll durchaus auch etwas in den Besuchern verändern.“
Mural Harbour
Man muss das nicht als Wunschkonzert abkanzeln. Gerade in Linz nicht. Denn auch diese Stadt verändert sich ständig. „Nur der stetige Vorwärtsblick hat Linz zu dem gemacht, was die Stadt heute ist“, klopfen sich die lokalen Touristikprofis auf die Brust. Oder ein zweiter Blick aus dem Fenster. Denn der wurde zur Grundlage für einen Besuchermagnet der Sonderklasse – der „Mural Harbor“ im riesigen Areal des Linzer Hafens.
Die Geschichte dazu klingt so erstaunlich wie banal. Leonhard Gruber war es leid, vom Bürofenster aus nur auf Beton zu starren. Also fragte er an, ob man da nicht ...
Raus mit dem Grau
2012 wurde das erste überdimensionale Wandgemälde im Linzer Hafen gestaltet. Seither sind noch hunderte Graffiti dazugekommen. Die Folge: Das Areal darf sich „Europas größte Graffiti und Muralismo Galerie“ nennen.
Apropos Veränderung. Jedes Jahr kommt ein Wandbild dazu. Vertreten sind etwa die Szenegrößen Nychos aus Wien, Phekt aus Steyr, Flix aus Venezuela, Caracas und Lords aus den USA. Dies und das Hafenfest „Bubble Days“ Anfang Juni haben Linz noch intensiver mit der Donau verbunden.
Stahlstadtkinder
Ja, die Linzer sind ziemlich einfallsreich. Zur Hochblüte der Punkära haben local heroes wie Willi Warma mit dem kürzlich verstorbenen Kultsänger Kurt Holzinger und Miss Molly's Favourites angereisten Wienern wie General Guglhupf oder der WC-Band gezeigt, wo der Bartl den Most holt.
Auf anderem Gebiet macht man das gerne mit tatkräftiger Hilfe namhafter Stars. Die solarCity, das unter anderem von Architekturpapst Norman Foster geplante Ökostadtviertel, ist auch schon wieder 20 Jahre alt.
Strada del Start-up
Während anderswo Start-ups provisorisch hausen, wurde die ehemalige Tabakfabrik mit einer innovativen „Strada del Start-up“ speziell für die Anforderungen der Moderne umgebaut.
Kann es sein, dass sich das charmante, weil das Wechselspiel zwischen Stadt und Land liebende Linz auf dem direkten Weg zur Superstadt befindet? (Vor 30 Jahren etwa stellten die Avantgarde-Jazzer von Monochrome Bleu die Frage: "What is a Linz?") Diese Frage wurde jüngst bei einem Symposium auf der Kunsthochschule erörtert. Mit einer „Superparty“ zum Abschluss.
Etwa zur selben Zeit schlug man oberhalb des Ars Electronica Center auf der Lesebühne „Linzer Worte“ des Salonschiff Fräulein Florentine eine andere Gangart ein – eine „nonverbale Rückschau auf unsere Zukunft“.
Aber so sind sie halt, die Linzer. Lustig und originell.
Fehlt nur noch, dass der LASK bei der Champions League mitspielt. Dann sind sie künftig auch noch voll athletisch ...
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