Ein Jahr vor der Fußball-WM: Zu Besuch in Katar
In genau einem Jahr kommen die besten Kicker zur Weltmeisterschaft in Katar, die Stararchitekten waren alle schon da. Sie hinterließen im umstrittenen Golf-Emirat eine fantastische Mischung, auch abseits des Sports.
Überblick
Der Sommer ist die Hölle. „So heiß und schwül, dass du rund um die Uhr Brot backen könntest – ohne Ofen“, schildert Martin Schnider, Hoteldirektor des Mandarin Oriental in Doha. Dezember, Jänner und Februar gelten als perfekte Monate für die Bewohner Katars – man kann außerhalb der klimatisierten Wohnungen, SUVs und Malls durchatmen. Alle auf einmal scheinen dann an die frische Luft zu strömen, was den abendlichen Mega-Wochenend-Stau im Souq Waqif der Hauptstadt erklärt. Menschenknäuel schieben sich in Stop-and-go-Manier durch das Gassengewirr, um den Hunger zu stillen. Ein Imbiss lockt mit Kamelfleisch, während andere Lokale allgemeiner mit „aserbaidschanischer, libanesischer und syrischer Küche“ um Kundschaft werben. Überall bilden sich Schlangen, vor einem orientalischen Fast-Food-Laden genauso wie vor den bis auf die Augen vollverschleierten Frauen, die Nutella-Crêpes zubereiten.
Auch sonst tobt im populärsten Souk das pralle, nahöstliche Leben. Männer üben sich im Multitasking, starren auf ihre Mobiltelefone und nuckeln an der Wasserpfeife. Gerüche mischen sich, manche undefinierbar, manche süßlich schwer: Die „Perfumes Palaces“ lassen grüßen. Dutzende Läden bieten die immer gleichen Gewürze, Schuhe, Taschen, Stoffe an. Schnäppchenjäger stehen vor kniffligen Fragen: Welcher Schmuck ist billiger Tand und welcher zeugt von Verstand? Die traurigste Adresse für sensible Europäer ist der Vogelmarkt: Auf engstem Raum sind die Tiere zusammengepfercht, ein bemitleidenswertes Gepiepse und Geschnatter erfüllt die laue Luft.
Überquert man die Jassim-bin-Mohammed-Straße und flaniert einen Block hoch, sind Basarfeeling und Sandelholzduft plötzlich wie weggeblasen und wirken nur noch anachronistisch. Der neue, mit modern-eleganten Herrenhäusern im arabischen Stil gepflasterte Downtown-Stadtteil „Msheireb“ strahlt neben Kühle und Sterilität eine hohe Dosis Luxus aus. Erster Eindruck: eine Lifestyle-Oase aus einer Trendbibel, die sich nonchalant High-End-Flair zufächelt. Boutiquen, Restaurants und schicke westliche Cafe-Bars wie das „Rusk“, wo für ein Mandel-Croissant sieben Euro verlangt werden, oder „The Ministry of Coffee“ sprießen aus dem Asphalt – genauso wie Kräutergärten zwischen sündhaft teuren Appartements. Eine Straßenbahn gleitet fast lautlos durch das Hauptstadtviertel. Auf Schiene ist natürlich auch schon die Präsenz passender Edelherbergen wie Mandarin Oriental oder Park Hyatt.
Die Gegensätze zwischen Tradition und Moderne haben Magnetismus. Hier glitzernde Wolkenkratzer der West Bay, dort Lehmgebäude und Beduinen-Nostalgie. Oder die prächtige Museumslandschaft und futuristische Sehenswürdigkeiten. Die Stararchitekten scheinen schon vor Jahren ihre WM im Wüstenstaat gespielt zu haben: Fast alle preisgekrönten Player haben sich bereits verewigt, von Zaha Hadid bis Rem Koolhaas, Alejandro Aravena und Arata Isozaki.
Exkurs: Attraktionen
Nach Perlen tauchen, in Öl schwimmen
Besonders gelungen ist das Nationalmuseum: Vom Plan bis zur Eröffnung im März 2019 dauerte es zwar achtzehn Jahre, aber selbst Kulturmuffel würden wohl zustimmen, dass sich das Warten gelohnt hat. Jean Nouvel hat sich bei seinem Meisterwerk von Wüstenrosen inspirieren lassen, das Design zeichnet sich durch Hunderte sandfarbene, ineinandergreifende Scheiben aus, die den alten Palast von Scheich Abdullah Bin Jassim al-Thani einfassen. Das Innere wird von historischen Artefakten, innovativer Präsentationstechnik (Wände werden zu Kinoleinwänden) und individuellen Kokons dominiert. Die Geschichte und das Leben der Katarer werden erzählt: Wie sich das Land vom Perlen- und Dattelpalmenhandel durch Öl- und Gasfunde in den vergangenen Jahrzehnten zum reichen Übermorgenland beamte.
Die schönsten islamischen Kunstwerke und Objekte werden in einem von I.M. Pei entworfenen Gebäude präsentiert – im Museum für Islamische Kunst auf einer künstlichen Insel an der sieben Kilometer langen Uferpromenade Corniche. Nicht zuletzt mit diesen Kulturheulern will das Emirat von der Größe Oberösterreichs sein Image aufpolieren und sich von seiner fortschrittlichsten Seite zeigen. Die wichtigste Säule in der Außenwahrnehmung bleiben aber Spitzensportveranstaltungen: Tennisturniere, Leichtathletik-, Schwimm-, Turn-, Motorrad- und Rad-WM sowie der Formel-1-Grand Prix waren bloß das Aufwärmen für die Fußball-WM in einem Jahr. Die dubiose Vergabe und die vielen (teils tödlichen) Arbeitsunfälle beim Stadionbau rückten ein Ungleichgewicht in den Fokus: Von 2,8 Millionen Einwohnern Katars sind nur 300.000 echte Einheimische, und die machten sich für das Prestigeevent 2022 eher nicht die Hände schmutzig. Das durften die unter prekären Verhältnissen lebenden asiatischen Gastarbeiter erledigen.
Immerhin vermischen sich die Klassen in den Garnituren der fahrerlosen U-Bahn vom Khalifa International Stadium Richtung Souq Waqif. Könnte am Preis für eine Einfachfahrt liegen: Für zwei Riyal, fünfzig Cent, ist die bequeme Reise mit der ultramodernen Metro ein Schnäppchen für jedermann.
Info
Klimafreundliche Anreise
Qatar Airways („Airline of the year 2021“) fliegt in fünf Stunden nonstop von Wien nach Doha, ab 399 Euro, qatarairways.com. Die CO2-Kompensation dafür beträgt hin und retour 25,56 €
Gediegen liegen
Die feudalste Downtown-Adresse ist das Mandarin Oriental (158 Zimmer und Suiten, zwei Dachpools) mit dem Spitzenrestaurant „Mosaic“ (Seidenstraße-inspirierte Kochstationen): mandarinoriental.com/doha
– Direkt am Strand, mit üppigem Garten, Villen und Pools: Sharq Village & Spa, ritzcarlton.com
Shopping und Programm
– Villaggio Mall mit Shops und Vergnügen: Gondelfahrt, Eislaufen, 4-D-Theater. villaggioqatar.com
– Wüstensafaris mit Kamelritt, Sandboarden und Quad-Fahren: am besten bei den Sanddünen in Chaur al-Udaid
– Naturerlebnis: mit Kanu durch die Mangrovenwälder von Al Thakira
– Das „International Falconry & Hunting Festival“ (Jänner) zeigt die von Beduinen importierte Falknerei
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