Die Designmetropole des Nordens: Helsinki
Auf gutes Design und überraschende Architektur trifft man in Finnlands Hauptstadt auf Schritt und Tritt – ganz besonders während der Designweek im September, wenn Helsinki zu einem einzigen Hotspot für Designverliebte wird.
Überblick
Am schnellsten geht es von Wien mit dem Flugzeug nach Helsinki. Per Bahn über Hamburg und Stockholm.
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Von Brigitte Jurczyk
Wo will der jetzt hin? Karii führt seine Gäste durch eine dunkle Hauseinfahrt und geht zielstrebig auf eine Tür im Hinterhof zu. Nicht gerade einladend. Aber als sich die Pforte öffnet, strömt der Geruch von warmem Hefeteig in die Nasen. Bierdosen stapeln sich auf den Stufen, die in den Keller führen. Und hinter der nächsten Tür wird Helsinki-Guide Karii wie ein alter Bekannter begrüßt. Der große Kellerraum ist mit provisorisch aufgehängten großen Tüchern unterteilt. In der einen Ecke heizt ein Ofen einer Pizza ordentlich ein. Im nächsten Raum kauft die Kunststudentin Mari ein T-Shirt, das ein junger Mann mit blondem Lockenkopf kunstvoll bedruckt hat.
„In Helsinki ist einfach jeder kreativ“, sagt die 23-Jährige und hält sich das weiße Shirt mit den explodierenden Farben vor einem an die Wand gelehnten Spiegel an den Körper. Die ungewöhnlichen Orte, an denen sich die Kreativität zeigt, sind vielleicht manchmal improvisiert, aber immer originell. Weiß Gott, warum die finnische Hauptstadt solch einen inspirierenden Spirit hat, dass an jeder Ecke neues Design entsteht. Deshalb wurde sie ja auch schon vor zehn Jahren zur Welt-Design-Hauptstadt gekürt. Und jedes Jahr – seit 2005 – feiert man die gute Formensprache mit einer Design-Week. Das Festival ist ein Mega-Event in Helsinki und nach der Coronapause haben Designfreaks aus der ganzen Welt das Datum 1. bis 11. September 2022 wieder in ihrem Kalender rot markiert.
Wahrzeichen und Vasen
Finnland scheint einen fruchtbaren Boden zu haben, auf dem neues Design gut gedeihen kann. Gerade Helsinki brachte schon so einige Künstler hervor, die sich der Bestform verschrieben. Viele heimische Architekten und Designer druckten der knapp 660.000-Einwohner-Stadt ihren wohlgeformten Stempel auf. Sie lebt noch heute vom Ruf solcher Kreativstars wie der Architektenfamilie Eliel und Eero Saarinen oder dem Ehepaar Alvar und Aino Aalto. 1971 schenkte der finnische Architekt und Designer Aalto der Stadt ein neues Wahrzeichen: Die Finlandia-Halle, ein Konzert- und Kongressgebäude am südlichen Ufer der Töölönlahti-Bucht. Das mit weißem Carrara-Marmor verkleidete Gebäude strahlt immer noch eine zeitlose, funktionelle Modernität aus. Und die wellenförmigen Glasvasen, die Aalto zusammen mit seiner ersten Frau in den 30er-Jahren entworfen hat, gehen immer noch weg wie warme Semmeln. Sie gelten als Inbegriff des finnischen Designs. Echte Designklassiker eben, die ihren Wert behalten. Die renommierte Glasmanufaktur Iittala stellt sie her. Am Fiskars Campus befindet sich ein Outlet der schon 1881 gegründeten Glasbläserei. In bester Lage, an der Pohjoisesplanadi, liegt der Shop von Iittala und Arabia. Ein Flagship-Store, der die gläsernen Kunstwerke verschiedener, auch junger Designer funkeln lässt.
Einen Steinwurf entfernt findet sich ein zweites Aushängeschild finnischer Kreativkraft: Marimekko. Ein Unternehmen, das mit den bunten Drucken von überdimensionalen Mohnblumen für Furore sorgt. Das Dessin „Unikko“, das dieses Jahr seinen 58. Geburtstag feiert, prangt auf Stoffen, Tassen und Taschen sowie Kleidern – und ist immer noch topmodern.
Sprudelnde Ideen
Mit ihren Entwürfen hat die Designerin Maija Isola das Unternehmen seit den 1950er-Jahren maßgeblich geprägt. Immer neue Ideen für farbenfrohe Dessins sprudelten nur so aus der finnischen Künstlerin heraus. Sie fingen den Zeitgeist ein und fanden ihren Weg in Form von Vorhängen, Kissenbezüge und Tischdecken in die Wohnzimmer der Welt – und natürlich auch ins Designmuseum von Helsinki. Die inspirierende Atmosphäre Helsinkis hat Generationen von Formgebern und Architekten zu Höchstleistungen angespornt. Aus aller Welt strömen sie in die finnische Hauptstadt und pilgern zu den Bauwerken von Alvar Aalto – zur Kongresshalle Finlandia an der Bucht Töölönlahti, zur Akademischen Buchhandlung in der Stadtmitte oder in Aaltos Privathaus im Norden Helsinkis.
Der Großmeister und seine Kollegen haben ein besonderes Terrain für wagemutige und innovative Architekten der Neuzeit hinterlassen. Ein schönes Beispiel hierfür lieferte der US-Amerikaner Steven Holl mit dem Entwurf für das Kiasma-Museum für moderne Kunst. Und auch die revitalisierten Hafenrandgebiete von Helsinki zeigen, wie überraschend neue Architektur im Norden sein kann. Vielleicht hat die Auszeichnung als Designmetropole dazu geführt, dass Helsinki nicht nachlässt, seinem Ruf gerecht zu werden. Gerade in den vergangenen Jahren wurden Bauvorhaben realisiert, die die Architekturwelt aufhorchen lassen: Die neue Zentralbibliothek Oodi mit ihrem weit geschwungenen Balkon beispielsweise oder das unterirdische Museum Amos Rex, das sich von außen durch eine märchenhafte Bullaugenlandschaft zu erkennen gibt. Zu den spektakulären Neubauten, die das Stadtbild prägen, gehört auch das Kaisa-Haus – ein Entwurf der Anttinen Oiva Architekten – in dem die Universitätsbibliothek untergebracht ist: Es war eines der ambitioniertesten Bauvorhaben in dem Jahr, als die finnische Metropole zur Welt-Design-Hauptstadt aufstieg. Ein aufregendes Stück Architektur – von außen mit rotem traditionellem Backstein versehen, entpuppt es sich innen als futuristisches Raumschiff.
Sauna mit Design
Selbst solche (für Finnen) Selbstverständlichkeiten wie Saunen – eine Art Nationalheiligtum – bekommen ein neues Aussehen verpasst. Zu bestaunen auf der Lonna-Insel vor den Toren Helsinkis, aber auch im ehemaligen Industriegebiet Hernesaari, wo eine neuartige hippe Anlage entstanden ist, die nach dem Saunagang zum Sundowner, zum Essen – und über einen Steg hinaus ins Meer einlädt. Das Ganze heißt „Löyly“ und ist der finnische Name für Wasserdampf, der nach einem Sauna-Aufguss entsteht. Und obwohl es mehr als 3 Millionen Saunen für 5,4 Millionen Finnen gibt, ist „Löyly“ etwas ganz Besonderes: Wie ein Fels aus Beton und Stahl, mit 4.000 Lamellen aus Kiefern- und Birkenholz verkleidet, soll es langsam durch die Witterung ergrauen und so an einen der vielen Granitfelsen an der Küste erinnern. Ein herrlicher Platz mit weitem Blick und einer Terrasse, auf der gern und ausgiebig gefeiert wird. Wer es lieber ohne Discosound und wummernde Bässe mag, sollte sich ruhig mal in eine der vielen Kirchen von Helsinki zurückziehen.
Richtig gelesen! Die haben hier nämlich auch einen besonderen Anspruch in puncto Architektur. Ausgerechnet auf dem quirligen, belebten Narinkka-Platz steht Kamppi – die Kapelle der Stille. Ein eiförmiges Gebäude aus Holz mit einem 11,5 Meter hohen Schiff mit gebogenen Erlenholzlamellen, in das tagsüber indirekt Licht einfällt. Man kann sich kaum aus dieser stillen Schlichtheit lösen, die heute zu den bekanntesten Gebäuden der Stadt gehört.
Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte schon mal ein sakrales Gebäude im Stadtteil Etu-Töölö für Aufsehen gesorgt: Die Temppeliaukio-Kirche – eine moderne Felsenkirche, die von den Brüdern Timo und Tuomo Suomalainen geplant, in den Untergrund hineingebaut und 1969 fertiggestellt wurde. Bis heute sorgt sie für ein atemberaubendes Raum-Erlebnis: Die fünf bis acht Meter hohen Kirchenwände bestehen aus unbehauenem Granitfelsen und das kreisrunde Kupferdach besitzt dank seiner 180 Fenster eine ungeheure Strahlkraft, die betört. Eine echte Pilgerstätte – eben auch für Architektur-Enthusiasten. Karii, der finnische Guide, der Besucher durch die auf- und anregende Design- und Architekturlandschaft von Helsinki führt, hat noch einen Tipp für alle, die zur Designweek im September in seine Stadt kommen: „Ein Hotspot wird dann der Designmarkt in der Cable Factory sein. Dort stellen Hunderte Firmen ihre Produkte zum Kauf aus – von Mode über Wohnaccessoires und Leuchten bis hin zu Haushaltswaren.
Es ist das mit Abstand größte Design-Outlet-Event in ganz Skandinavien, auf dem sich eben auch die junge Kreativ-Szene zeigen wird.“
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