Brünn im Advent: Weihnachten nebenan
Schillernd und schrullig: Brünn ist Europas Weihnachtshauptstadt! Zeit, um die Autobahn-Ausfahrt Richtung Prags kleiner Schwester zu nehmen.
Wissenswertes
Von Wien nach Brünn sind es gerade mal knapp 140 Kilometer, weshalb die Stadt früher auch spöttisch "nördlicher Vorort von Wien" genannt wurde. Mit dem Zug dauert es ebenfalls nur 90 Minuten, der Bahnhof liegt zentral. Tipp für den Frühling: Es gibt einen eigenen Brünn-Wien-Radweg.
Von Nicola Afchar-Negad
Wer sich abends, umhüllt von der Dunkelheit, auf den 63 Meter hohen Aussichtsturm des Alten Rathauses in Brünn begibt, dem liegt die Weihnachtswelt zu Füßen. Man sieht nicht nur den eigenen Atem, sondern auch die Rauchschwaden der Essensstände auf dem Weihnachtsmarkt.
Fast könnte man meinen, man riecht die Holzkohle, auf der der Rauchkäse vor sich hin brutzelt und den Turbomost, den Becherovka-Punsch und die gezuckerten Baumkuchen, hier Trdelnik genannt. Ein kurzer Blick auf die Festung Špilberk, einst ein Gefängnis der K.-u.-k.-Monarchie, jetzt zu Weihnachten ein Lichterpark – und es geht wieder ins Getümmel.
Die Weihnachtshauptstadt Europas, ein Titel, der seit 2017 unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments verliehen wird, lockt heuer an gleich fünf Plätzen mit ganz schön viel Tamtam und glitzerndem Klimbim.
Rings um die acht Meter hohe Reiterstatue des Grafen Jost hüpfen Kinder ausgelassen auf Strohballen, stürmen danach zum Riesenrad und rutschen auf dem Eislaufplatz herum. Nicht weit entfernt legen jeden Abend um 21 Uhr lokale DJs auf und generell ist Musik allgegenwärtig.
An fünf Plätzen im Zentrum – und in den Seitengassen – ergießt sich der Weihnachtszauber über seine Besucher aus nah und fern, auf gerade mal zwei Quadratkilometern. Und genau das macht es so besonders.
Man muss sich nicht entscheiden, was es denn sein darf, braucht keinen Superlativen hinterherjagen, sondern nimmt einfach alles mit.
Eine Runde mit der Šalina – eine extra beleuchtete Weihnachts-Straßenbahn – ist Pflicht, genau wie ein Hallo an das Brünner Maskottchen, ein Krokodil – aktuell im rot-weißen Weihnachtspullover.
Sogar die Bühnen und Museen der 400.000 Einwohner großen Stadt ziehen mit – O, du Fröhliche – und programmieren Besinnliches. Leise rieseln die tschechischen Kronen.
Geheimtipp nur 140 Kilometer vor Wien
So sehr die südmährische Stadt dieser Tage auch funkelt, sie strahlt das ganze Jahr über. Nicht dieses grelle, blendende Licht der Großstadt, sondern das warme und wohlige, das einen gefühlt umarmt. Brünn wird in den Reiseplanungen oft übergangen. Prag und Budapest sind einfach zu dominant. Und das, obwohl insbesondere die Wiener die vier Buchstaben B-R-N-O tagtäglich auf den blauen Autobahnschildern sehen, es liegt nur 140 Kilometer nördlich.
Restaurant-Eldorado: Rinderbraten trifft Ramen
Brno, da war doch was! Wer genau hinhört, zwischen den Zeilen liest und einen zweiten Blick wagt, wird belohnt. So hat Brünn eine geradezu verrückt hohe Dichte an guten – und hübschen – Kaffee-Lokalen (Tipp: die Monogram Espresso Bar, Foto siehe unten), eine beeindruckende Zahl von vietnamesischen Restaurants und Cocktail-Bars, die locker mit den Großen mithalten können.
Brünn vibriert – auf kleinerer Stufe, quasi der Sensitiv-Einstellung. In der Innenstadt riecht es nach einer Mischung aus gemahlenem Kaffee, Hopfen, Malz (Starobrno-Bier!) und einem verführerischen Aromen-Allerlei.
Rinderbraten (Svíčková) trifft Ramen. Brünn ist die junge und lässige Alternative zu Prag, eine kleine Schwester eben.
Die Stadt der Studenten
Zu verdanken hat sie diese Aura den 80.000 Studenten, die somit ein Fünftel der Population ausmachen. Sogar der "Vater der Genetik", Gregor Mendel, hat hier studiert – Theologie, Ökonomie sowie Wein- und Obstanbau. So eine studentische Übermacht macht jedenfalls etwas mit der Stadt!
Es heißt, es gäbe kaum eine Zeit, in der in Brünn nicht irgendein Festival stattfindet – an Konzerten mangelt es definitiv auch nicht. Man ist ja auch UNESCO-Stadt der Musik, von nichts kommt der Titel nicht.
Apropos UNESCO, die begegnet einem hier gleich noch einmal. Brünn gilt – gemeinsam mit Tel Aviv – als Epizentrum funktionalistischer Architektur der Zwischenkriegszeit. Die Villa Tugendhat, 30 Minuten zu Fuß von der Innenstadt entfernt, entstand nach Plänen von Mies van der Rohe.
Wer eine englisch- oder deutschsprachige Führung durch die Zimmer mitmachen möchte, muss gut planen, und zwar langfristig, denn die Timeslots sind nur mehrere Monate im Voraus zu haben. Allen anderen bleibt ein Besuch des Gartens – oder anderer Villen, wie der Löw-Beer und Stiassni-Villa. Letztere ist der Tugendhat fast ebenbürtig, Fidel Castro soll sich hier als illustrer Staatsgast wohlgefühlt haben.
Eine Anmerkung noch zum Thema Führungen in Brünn: Vieles findet auf Tschechisch statt, man darf eine Simultan-Übersetzung nicht voraussetzen. Im Notfall helfen Audioguides im Sprachen-Wirrwarr.
Bizarr, beklemmend, berührend
Ein Wirrwarr der anderen Art schlängelt sich durch den Untergrund der Stadt. Man muss wissen: Brünn hat eine stark ausgeprägte schrullige, mystische, ja morbide Seite. Acht Meter unter dem Krautmarkt findet sich ein ein Kilometer langes Labyrinth aus Gängen und Kellern.
Auf dem Weg finden sich ein alchemistisches Labor, ein Pranger und ein Narrenkäfig. Und das ist nicht alles. Spektakulär sind etwa die Wassertanks und Kathedralen der Unterwelt, die regelmäßig von Lasershows erhellt werden. Weitaus düsterer: Der Z-10-Bunker, in dem man sogar übernachten kann und das Beinhaus unter der St. Jakobs-Kirche, über 50.000 sollen hier ruhen.
Relevantes Wissen
➤ … In Brünn die Mittagsglocken um 11 Uhr läuten? Damit hat man einst einen schwedischen Feldherrn zum Rückzug gebracht, der Brünn bis mittags eingenommen haben wollte.
➤ … die Brünner Uhr (in Patronenform) jeden Tag um 11 Uhr eine Murmel ausspuckt? Ein tolles Souvenir!
➤ … die Brünner ihr Maskottchen Drachen nennen – obwohl es doch sehr wie ein Nilkrokodil aussieht?
In derselben Kirche ist der Dachboden seit Kurzem zugänglich – und nicht nur das, das monumentale Dachgewölbe hat auch gleich eine audiovisuelle Show verpasst bekommen!
Da ist es schon wieder, das Licht – angefangen vom Weihnachtsflackern, über den Kaffeebar-Minimalismus bis hin zu den Lasershows.
Und wer die Sonne präferiert – denn seien wir ehrlich, es kann im Winter bitterkalt werden in Brrrrno, der reist im Frühling und Sommer. Dann, wenn beim Foodtruck am Krautmarkt die Menschen für ihren Pulled-Pork-Burger Schlange stehen, die Liegestühle auf öffentlichen Plätzen aufgeklappt werden, sich der Hof der Festung Spielberg in ein Amphitheater verwandelt und sich alles irgendwie leichter anfühlt –, dann ist definitiv auch eine gute Zeit für den Tschechien-Trip. Und im Untergrund ist es dann eventuell auch besonders angenehm.
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