Amerikas vergessener Dschungel: Zypressensümpfe in Louisiana

Jetzt ist das letzte Aufbäumen des Herbstes im tiefen Süden der Vereinigten Staaten zu bewundern – in den Zypressensümpfen Louisianas.

Von Verena Popp-Hackner und Georg Popp

Im Norden Nordamerikas beginnt die Verfärbung der Landschaft, der „Indian Summer“, so ab Mitte September in der Subarktis und zieht sich dann Woche für Woche wie ein bunt gefärbter Tsunami gen Süden. Anfang Oktober sind die kanadischen Provinzen am Atlantik an der Reihe, danach erreicht die „Herbstwelle“ gegen Ende Oktober die wohl bunteste Phase mit knallrot verfärbtem Zuckerahorn im Osten der USA. Maine, Vermont, New York, Virginia oder South Carolina – erst ab der subtropischen, meist immergrünen Vegetation im Süden Floridas ist Schluss mit bunt. Doch zuvor bietet sich in Louisiana und im südöstlichen Texas noch ein ganz besonderes und einzigartiges Herbstspektakel: In den großen Zypressensümpfen im Deep South, des tiefen Südens, trifft die Herbstverfärbung auf subtropische anmutende Landschaft und Tierwelt.

Zu den mächtigen Alligatoren sollte ein respektvoller Abstand gehalten werden, sind sie doch bis zu 6 Meter lang und 400 kg schwer 

©www.popphackner.com

Amerikas vergessener Dschungel

Unter und in den sich nun gelb, orange und rot verfärbenden Baumriesen, tummeln sich Alligatoren, Schildkröten, Gürteltiere, Waschbären und eine schier endlose Vielfalt an Vögeln. Löffler, Reiher, Eulen, Adler, Kolibris und große Scharen an diversen Zugvögeln, die hier Zwischenstation machen. Manchmal trifft man auf tausende Kormorane, ein andermal auf abertausende Schwalben auf ihrem Weg in den Süden. Zugegeben, eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Insekten, Spinnen und Schlangen sind auch dabei. Immerhin: Mit den ersten kalten Nächten verschwinden die lästigen Moskitos.

Silberreiher, einer der besten Fischfänger in den Sümpfen. Big Cypress Bayou, Texas 

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Die Zypressensümpfe sind ein bisschen wie Amerikas vergessener Dschungel. Einst überzogen sie riesige Flächen, doch das schöne und sehr beständige Holz der Zypressen war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, sodass um 1900 so gut wie alle großen Bäume gefällt waren. Dort wo man sie heute noch findet, muss man meist mit dem Boot hin. Die Belohnung für all jene, die sich mit Kanu oder Kajak auf die Suche nach diesem Märchenwald machen, ist ein faszinierendes Naturerlebnis, das man nur mit sehr wenigen Menschen teilen muss. Für die meisten ausländischen Touristen ist es bereits zu spät in der Reisesaison und für die „Locals“ konzentriert sich nun alles auf Thanksgiving und Black Friday.

Das Laub der Zypressen fängt sich um die freiliegenden Wurzeln bei niedrigem Wasserstand im Spätherbst.  Pine Island Pond, Texas

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Es ist tatsächlich ein kleines Wunder, wie unbekannt der Herbst im Tiefen Süden ist. Schöne Herbstwälder allein, sind ja schon eine Attraktion für sich, doch diese Märchenwälder sind auch eine pittoreske Wasserlandschaft, deren Farben sich im tiefen, stillen Wasser widerspiegeln. Die eigentliche Faszination geht jedoch von den Bäumen selber aus. Mit ein bisschen Suche finden sich noch größere Bestände der uralten Baumriesen. Etwa entlang der Ufer des Lake Fausse Pointe im südlichen Louisiana oder am Caddo Lake an der Grenze zu Texas.

Info & Tipps

Anreise: Flug nach New Orleans. Per Mietauto nach Lafayette bzw. weiter in den Lake Fausse Pointe State Park (lastateparks.com/parks-preserves/lake-fausse-pointe-state-park).
Entweder man campiert oder mietet eine der tollen Cabins direkt am Wasser. Im State Park gibt es Leihkanus. Wer sein eigenes Kajak haben will, ist mit Pack & Paddle (Store in Lafayette; packpaddle.com) gut bedient. Hier gibt es jede Art von Boot und auch Dachträger zu mieten (das Mietauto so wählen, dass die Dachträger montiert werden können).

Zwischen diesen beiden Gebieten liegt das Atchafalaya Basin, das wohl größte Sumpfgebiet der USA. Es ist eine Art US-amerikanisches Amazonasbecken, mit allen guten Seiten, wie Natur und Tierwelt, und allen negativen Aspekten, wie überbordende und unkontrollierte Jagd und illegale Abholzungen. Eine kleine NGO Organisation, die „Atchafalaya Basin Keepers“, macht regelmäßig Kontrollflüge mit kleinen Sportflugzeugen über das Gebiet und meldet den zuständigen Behörden illegale Abholzungen oder Jagdaktivitäten außerhalb der Jagdsaison. Es ist die einzige Möglichkeit in diesem riesigen und unübersichtlichen Gebiet dafür zu sorgen, dass zumindest die bestehenden Gesetze eingehalten werden.

Gelegentlich trifft man auf eine kleine Gruppe von Touristen auf einem nachgebauten Mississippi-Dampfer am Caddo Lake, Texas

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John Williams, Besitzer des wunderschönen „Pack & Paddle“ Stores in Lafayette, versucht seit Jahren am Black Friday, dem Konsumtag schlechthin, ein Zeichen zu setzen und lädt Menschen in der Umgebung zu einem gemeinsamen Paddelausflug in die herbstlichen Sümpfe ein, anstatt dem letzten Sonderangebot nachzujagen. „Schön langsam trägt das Früchte“, meint er, „viele Menschen fahren täglich an dieser fantastischen Natur vorbei, ohne sie wahrzunehmen. Nach einer Paddeltour unter den Baumriesen ändert sich das!“ Er selbst und seine Frau Becky sind jedes Mal mit von der Partie, selbst ihr Hund liebt das beschauliche Bootfahren. So schön die Zypressensümpfe sind, sie sind leider kaum irgendwo als Nationalpark oder Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Mächtige Sumpfzypressen am Lake Fausse Pointe, Louisiana. 

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Geheimnisvolle Luftwurzeln

Diese Sumpfwälder, die die flächendeckenden Kahlschläge bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts überdauert haben, sind über und über mit Spanish Moss überwachsen und ihre Luftwurzeln ragen rings um die meterdicken Stämme wie Skulpturen aus dem dunklen Sumpfwasser empor. Welchen Zweck diese Luftwurzeln erfüllen, ist nicht endgültig geklärt. Vermutlich helfen sie den Bäumen, sich im Boden zu stabilisieren und Sedimente und somit Land anzuhäufen. Vieles bleibt in diesen Sümpfen geheimnisvoll und ungeklärt. Der besonders große und attraktiv gefiederte Elfenbeinspecht soll in den unzugänglichen Wäldern noch leben, allerdings wurde er seit etwa 70 Jahren nicht mehr gesehen. Auch das trübe Wasser verhindert einen klaren Blick auf das vielfältige und spektakuläre Leben unter der Oberfläche. Große Fische, wie etwa der Löffelstör oder der furchteinflößend aussehende Alligatorhecht, beide werden über zwei Meter lang, bekommt man nur selten zu sehen. Auch die amerikanische Schnappschildkröte, zweitgrößte Süßwasserschildkröte der Welt, lebt am Grund der Sümpfe und lauert dort auf Beute. Viel auffälliger sind die Alligatoren. Sie können bis zu sechs Meter lang werden und 400 Kilogramm schwer, meist sind sie jedoch deutlich kleiner. Obwohl sie in der Regel scheu sind und am Menschen kein Interesse haben, sollte man immer einen Respektabstand einhalten.

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Wer mit einem Mietkanu zeitig am Morgen hier in diesen vergessenen Dschungel vordringt, fühlt sich, als hätte man sich an das Set von „Avatar“ verirrt. Mit ein bisschen Glück – und das ist dem paddelnden Besucher im November oft gut gesinnt – wird man mit dem ultimativen Schauspiel belohnt: Auf kalte Novembernächte folgen, weil das Wasser noch recht warm ist, mystisch anmutende Nebelstimmungen bei Sonnenaufgang. Orange-gelbe Sonnenstrahlen mäandern dann zwischen den Baumstämmen hindurch, beleuchten so manchen Baum, doch können sie andere Bereiche im dichten Wald nicht durchdringen.

Nach besonders kalten Nächten scheint der gesamte Wasserwald zu dampfen, wie eine gigantische Thermalquelle im Winter. Im Kanu sitzend lauscht man der Vogelwelt, die langsam zum Leben erwacht. Wenn sich die letzten Nebelschwaden aufgelöst haben und die Sonne die Oberhand gewinnt, können die Temperaturen hier im tiefen Süden auch Ende November noch deutlich über die 20 Grad Grenze klettern. Mit unvergesslichen Eindrücken paddelt man nun gemütlich zurück zum Campground oder zum gemieteten Blockhaus am Wasser und genießt einen dünnen amerikanischen Kaffee, der dennoch noch nie so gut geschmeckt hat.

Cypress Swamps – Americas forgotten Jungle. 

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Buchtipp:

Cypress Swamps – Americas forgotten Jungle. 
Von Verena Popp-Hackner und Georg Popp.  Zehn Jahre lang hat das Fotografenehepaar aus Wien die Sümpfe per Kajak und mit ihren Kameras erkundet. Ihre besten Bilder und viele spannende Storys und Fototipps haben sie nun in diesem aufwendigen Bildband mit limitierter Auflage zusammengefasst. 208 Seiten, 28x28cm, € 65 (zzgl. Versand). Das Buch gibt es nur über [email protected], popphackner.com 
 

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