Bühne

Sarah Viktoria Frick: "Auf kluge Komödien vertrauen"

Interview: Die Burgschauspielerin spielt die Marianne in Johan Simons’ Inszenierung von „Geschichten aus dem Wiener Wald“.

Die Besetzung des Horvath-Klassikers ist luxuriös: Nicholas Ofczarek spielt den Oskar.

Wie ist der Probenprozess mit Johan Simons?

Sarah Viktoria Frick: Ganz einfach großartig. Sollte man mal in einer Theaterkrise stecken, dann einfach mit Simons arbeiten. Und in jeder Simons-Inszenierung liegt der Tod ums Eck ...

Woran liegt das?

Er vertraut auf seine Intuition. Das Interesse an der eigenen Fantasie und das an der seiner SpielerInnen  ist ausgeglichen. Je purer und simpler man arbeitet, wie nach Kinderlogik, desto erwachsener ist die Zusammenarbeit. Er sucht gemeinsam. Aus kleinen Beobachtungen werden dann Spielregeln – und  diese Spielregeln erfindet man gemeinsam. Er ist ein Meister im Teambilden.

Sind Sie eine Teamspielerin?

Ja! Ich mag Monologe nicht so gern.

Auf „Geschichten aus dem Wiener Wald“ liegen Jahrzehnte von Tradition. Empfinden Sie das als Last?

Es kann auch eine Chance sein. Ganz viele WienerInnen wissen, wie dieses Stück gehört. Und übersetzt man das jetzt auf die Figur der Marianne, ist diese einstige Belastung plötzlich eine Spielanleitung. Die anderen Figuren wissen, was das Beste für Marianne ist. Sie spürt aber, dass sie  einen eigenen, neuen Weg gehen will. Und das wiederum kann ich dann auch gut in meine  Theaterverständnis-Sprache übersetzen. Ich will diese Marianne auch anders denken als ich sie wahrscheinlich vor 100 Jahren hätte denken wollen.

Wie wollen Sie sie denken?

Simons sagte ganz am Anfang der Arbeit schon, dass dieses Stück eine Abrechnung mit der Männerwelt sei. So, wie in diesem Stück über Frauen gesprochen wird, das darf man nicht auf sich sitzen lassen – es gibt darin durchaus auch matriarchale Aspekte. Und vergrößert man diese, ändert sich auch die Sichtweise auf dieses Stück.

Marianne wird ja meistens als Opfer gezeigt.

Ja, aber das interessiert nicht. Also mich nicht, und Simons auch nicht. Ich glaube, solange man ständig weitergeht, unbeirrt, ist man kein Opfer.

Aber am Ende steht ihre Vernichtung.

Ihre letzten Worte im Stück sind „Ich kann nicht mehr. Jetzt kann ich nicht mehr.“  Das übersetze ich  so, ich hab den ganzen Abend gekämpft, mir selbst treu bleibend meinen Traum nicht aus den Augen zu verliehen. Wenn mir jetzt aber das Wichtigste genommen wird, mein Kind, dann kann ich meine Marianne nicht mehr sein. Ich kann kein guter Mensch mehr sein. Im besten Fall müsste das Publikum Wut empfinden, dass ihr nur noch diese Entscheidung geblieben ist.

Horváth beschreibt eine Gesellschaft, die keine Chance hat, dem Faschismus zu entgehen. Und man hat immer den Eindruck, er könnte auch über heute schreiben.

Ja, so ist es. Traurig, diese Aktualität.

Die Marianne gilt als Traumrolle. Empfinden Sie das auch so?

Ja. Das ganze Stück ist ein Traum.  Und wenn dann auch noch die ganze Besetzung so großartig ist, dann darf man nur dankbar sein ... Und das in einer Pandemie. Ich hab so eine Ahnung, dass das Theater stark umgekrempelt wird und vielleicht sogar verschwindet.

Sehen Sie diese Gefahr?

Naja. Verschwinden wird es nicht.  Aber es bricht eine Zeit an, wo die Gesellschaft umdenkt, und alles wahnsinnig vorsichtig wird.

Sie meinen die politische Korrektheit?

Zum Beispiel, ja. Ich finde es richtig, wichtig und nötig, dass unsere Gesellschaft nie auslernt. Minderheiten gleiche Rechte einzugestehen ist überfällig. Der Mensch wird’s aber nie schaffen. Aber nur, weil er es nie absolut gerecht machen kann, soll das nicht heißen, dass das Bestreben danach hinfällig ist. Natürlich ist das eine anstrengende Zeit ... für ältere Generationen wahrscheinlich noch mehr. Es gibt halt momentan keine Diskussionsbasis mehr. Und der Humor geht verloren. Alles ist  entweder links oder rechts, ja oder nein, und das dazwischen gibt es nicht mehr.
Das dazwischen würde aber bedeuten, die Menschen sehen mir beim Lernen zu – und das mag fast niemand. Lernen  geht aber nicht so gut ohne Spaß. Ich gebe zu, ich bin im Moment ein bisschen genervt ...  Aber  gerade das Theater hätte die Möglichkeit, neue Wege zu gehen und neue Formen zu entwickeln.

Wer nervt sie? Die, die nicht politisch korrekt sein wollen? Oder die „cancel culture“?

Wenn keiner der beiden Seiten bereit ist, die andere anzuhören, dann nerven mich beide.

Die Theater sind derzeit sehr schlecht besucht. Die Menschen haben sich am Lockdown angewöhnt, Netflix zu schauen. Denken Sie, das Theater bekommt ein langfristiges Problem?

Könnte mir das leider vorstellen. Es ist eine Entscheidung, ins Theater zu gehen. Das benötigt mehr Zeit, zum Teil auch Geld und Geduld, Hause zu streamen.

Manche sagen, man sollte jetzt mehr leichte Komödien programmieren?

Ich würde auf kluge Komödien vertrauen.

Sie spielen immer anders, als man erwartet. Sie sind immer eine Überraschung. Denken Sie da darüber nach?

Mein Anspruch ist, dass ich es mir nicht zu bequem mache. Ich nehme mir aber nicht vor, unbedingt überraschen zu wollen.

Empfinden Sie Theaterspielen als leicht oder als Kampf?

Ein gut gearbeiteter Theaterabend: leicht. Der Weg dorthin: nicht immer. Am besten, man weiß  vor  der Vorstellung noch nicht, was passiert. Und bei Johan Simons wird man gezwungen zur Freiheit!

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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