Kathrin Zechner tritt als Programm-Direktorin ab. Der ORF ist für sie trotzdem noch nicht Geschichte

Interview mit Kathrin Zechner: „Der Kampf ist unendlich schwieriger geworden“

Die scheidende ORF-Programmdirektorin blickt zurück auf Entwicklungen, Höhepunkte und Niederlagen in den letzten drei Jahrzehnten

Ihr früher mit Erinnerungsstücken reich geschmücktes Büro ist kahl. Denn der Vertrag von Kathrin Zechner als ORF-Programmdirektorin läuft mit Jahresende aus. Doch die Grazerin,  die sich mit einem umfangreichen Konzept erfolglos um weitere fünf Jahre beworben hatte, wirkt nicht bedrückt, sondern spürt eine ihr "bis dato unbekannte Zufriedenheit – über drei Jahrzehnte Top-Management.“ Zechner war von 1995 bis 2002 Programmintendantin und seit 2012 Fernseh- bzw. Programmdirektorin im ORF. Dazwischen leitete sie die Musical-Sparte bei den Vereinigten Bühnen Wien.

Ihr Vertrag als ORF-Direktorin läuft nun aus. Aber Sie wirken gar nicht bedrückt, Sie strahlen sogar.

Natürlich gibt es eine Sentimentalität, wenn man den Beruf derart leidenschaftlich ausübt. Aber es überwiegt eine mir bis dato unbekannte Zufriedenheit – über drei Jahrzehnte Top-Management, darunter von 1995 bis 2002 Programmintendantin, seit 2012 Fernsehdirektorin im ORF. Und dazwischen habe ich die Musical-Sparte bei den Vereinigten Bühnen Wien geleitet.

Sie waren früher beim Privatfernsehen. Können Sie sich eine Rückkehr vorstellen?

Nein. Ich habe die linear-analoge Zeit des Fernsehens mitprägen dürfen, in den letzten Jahren haben wir ein Fenster zum Digitalen aufgemacht. Umsetzen muss das jetzt die nächste Generation.

Aber Sie haben sich doch noch einmal mit einem Konzept für die Zukunft beworben. Wohin wäre die Reise hingegangen?

Das ist nun die Sache meiner Nachfolgerin. Ich habe ihr und auch dem neuen Generaldirektor mein Konzept übergeben. Wenn sie etwas davon verwenden können, sollen sie es. Und wenn nicht, dann nicht.

Generalintendantenwahl 1994 mit Gerhard Zeiler (Generalintendant), Kathrin Zechner (Programmintendantin) und Gerhard Weis (Hörfunkintendant)

©ORF/Thomas Ramstorfer
Sie können zwei Ären miteinander vergleichen. Welche Zeit war spannender? Jene von Gerhard Zeiler und Gerhard Weis? Oder jene von Alexander Wrabetz?

Ein Vergleich ist nicht möglich. Denn damals, unter Zeiler und Weis, gab es neben dem ORF nur ein paar private Sender aus Deutschland. Und jetzt gibt es mit den Streaming-Anbietern eine globale Konkurrenz.

Aber Sie haben immer Sendungen oder Formate entwickelt. Der größte Erfolg in Ihrer ersten Zeit war wohl „Taxi Orange“ – und der größte Flop „Mitten im Achten“?

„Mitten im Achten“ war nicht in meiner Zeit. Aber ich hätte es sicher auch versucht. „Taxi Orange“ war die auffälligste, die am meisten polarisierende und, ja, auch einer der erfolgreichsten Produktionen. Stolz bin ich auf die Serie „Julia – Eine ungewöhnliche Frau“ mit 65 Folgen. Das war eine Koproduktion mit der ARD werden, wir konnten uns lange nicht auf die Hauptdarstellerin einigen. Mir fiel dann Christiane Hörbiger ein – und konnte sie gewinnen. Wirklich hartnäckig musste ich sein, um „MA 2412“ durchzusetzen. Die Frage war, ob wir Sitcom können – in unserer Humorfarbe, mit unserem Sprachduktus. Ich war davon überzeugt. Und hatte wahnsinniges Glück mit Alfred Dorfer, Roland Düringer, Monica Weinzettl und Harald Sicheritz. Ich hätte gerne ein Spin-off versucht – für Weihnachten. Das ist mir leider nicht geglückt. Aber manches braucht eben viel Zeit bis zur Realisierung. „Die Vorstadtweiber“ brauchten mehr als ein Jahrzehnt.

Tatsächlich?

Ja, als ich bei den Vereinigten Bühnen war, äußerte ich die Idee bei einem Kaffee mit Oliver Auspitz und Andreas Kamm (MR-Film), die „Desperate Housewives“ nach Kaisermühlen zu versetzen. Weiterverfolgen konnte ich sie aber erst, als ich wieder beim ORF war.

Warum wurde aus Kaisermühlen Döbling?

Ich bin ja keine Autorin, auch keine Regisseurin, ich habe nur ein G’spür für Inhalte oder Teams. Ich habe mich immer als Ermöglicherin gesehen, auch wenn ich in der Produktionsbegleitung sehr stur sein kann. Uli Brée hat aus der Idee eben seine eigene Geschichte gemacht.

„Die Vorstadtweiber“ brauchten mehr als ein Jahrzehnt, bis sie auf den Bildschirm kamen, erzählt Zechner. Am 10. Jänner starten sie in die letzte Staffel

©ORF/Thomas Ramstorfer
„Walking on Sunshine“ war vergleichsweise ein Schnellschuss …

Wir wollten den Vorabend neu konzipieren – darunter mit einem selbstironischen Format. Mischa Zickler reizte das Projekt, aber er sah „Walking on Sunshine“ als 45er (mit 45 Minuten langen Folgen, Anm.) für den Hauptabend. Das ging flott. Mein Beitrag war nur, dass ich Robert Palfrader dazu brachte, das Drehbuch zu lesen.

Ein Kontinuum war die Vermittlung von Geschichte – in Form von Dokus und Biopics?

Ja, ich habe eine große Nähe zu Geschichte. Die erste historische Verfilmung, die ich verantworten durfte, war „Stille Nacht“ über die Entstehung des gleichnamigen Liedes. Fein fand ich gegen Ende meiner ersten Direktionszeit „Andreas Hofer“. Und im letzten Jahrzehnt kamen „Maximilian“, „Anna Sacher“, „Bertha von Suttner“, „Maria Theresia“, „Vienna Blood“ und so weiter hinzu. Ich habe im Dokumentationsbereich „Universum History“ und die Realtime Dokumentationen zu speziellen Anlässen im Hauptabend, ZiB2 History oder historische Ministücke für die digitale Welt begründen dürfen. Der Fokus lag auch darauf, Frauen-Geschichte sichtbar zu machen und jung wie alt für Geschichte zu begeistern.

Ein Erfolgsrezept waren auch die regionalen Bezüge und Schauplätze – mit den „StadtKomödien“ und den „Landkrimis“.

Ich wollte, dass über „Bundesland heute“ hinaus in allen Genres Regionales aufgegriffen wird. In der Fiktion war es eben der „Landkrimi“, eine Idee von Klaus Lintschinger. Mein Verdienst war, Koproduktionen zustande zu bringen. Obwohl im Dialekt gesprochen wird.

Das Finale von "Maria Theresia", diesmal von Ursula Strauss gespielt, zeigt der ORF am 6. Jänner

©ORF/Yan Renelt
Die jüngste „StadtKomödie“ – über die Lederhosenaffäre – war ziemlich an den Haaren herbeigezogen.

Ich widerspreche natürlich. Aber klar ist, dass es Produktionen gibt, die nicht aufgehen. Auch der beste Slalomläufer fädelt einmal ein.

Obwohl Sie bei der Produktionsbegleitung sehr stur sein können.

In der Entwicklung und Vorbereitung bin ich sehr fordernd und konsequent. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt habe ich jedes Projekt übergeben und mich nicht mehr eingemischt – und steh‘ zu dem, was die Kreativen daraus gemacht haben.

An welche Produktionen erinnern Sie sich gerne?

Gesellschaftspolitisch fand ich richtig, dass wir sehr früh die „CopStories“ gemacht haben – auch aus Gründen der Alltags-Diversität. Die sechsteilige Serie „Die Macht der Kränkung“ war ein Lieblingsprojekt, weil die Kränkung menschlich ist und zur Wurzel von Überreaktion werden kann. Ein anderes war „Speisen wie die Götter“ der Redaktion von „kreuz und quer“: Vertreter der drei Weltreligionen tauschen sich aus – beim Kochen zusammen mit einer Haubenköchin.

Was bedauern Sie?

Dass ich die Fortsetzung von „ÖSTERREich kann“ nicht durchgesetzt habe: Österreich kann Forschung, kann Klima, kann Versöhnung … Ich halte das Format für gesellschaftspolitisch wichtig, weil wir Menschen vorgestellt haben, die mit ihren Ideen die Welt verbessern. Und weil eben jede und jeder etwas kann. Und wenn jemand etwas nicht kann, dann gibt es eben jemanden anderen, der es kann. Das schafft Gemeinschaft. Ich hätte das wahnsinnig gerne weitergemacht.

Sie haben sich auch wiederholt um das Österreichische bemüht. Aber der deutsche Markt ist übermächtig. Und Sie haben die Jugend nicht mehr erreicht – sie redet immer piefkinesischer…

Ich bin eine Sprachfanatikerin, es geht mir um die Sprachfärbung und auch um das österreichische Vokabular. Siehe „Landkrimis“. Es bedarf der eigenen Sprache in eigenen Geschichten. Ja, das ist ein schwieriges Thema, da der Zauber, aber auch die Herausforderung der Jugend ist, dass sie Suchende und nicht Etablierte sind. Ich begann 2012 mit einem Anteil von 17 Prozent unter 49 Jahren – und mit habe jetzt mit 13 Prozent abgegeben. Natürlich hätte ich mir bessere Marktanteile gewünscht. Im Vergleich zu unseren deutschen Nachbarn sind wir Weltmeister. Im Vergleich zu den Global Players hart am Wind.

Die jungen Menschen schauen die Angebote auf Netflix und anderen Plattformen. Ist der Kampf verloren?

Der Kampf um die Kinder und Jugendlichen ist unendlich schwieriger geworden, aber noch nicht verloren. Es ist nur die Frage: Was investiere ich – inhaltlich wie finanziell? Als kleines Land kann man nur mithalten, wenn man unverwechselbar originär ist. Wenn man das nicht tut, hat man aufgegeben. Eigene Geschichten sind das A und O, aber auch raffinierte Kleinigkeiten können spannend sein. Wir haben letztes Jahr „Die Simpsons“ österreichisch synchronisiert – mit Chris Lohner auf Robert Palfrader: Das ging auch viral. Da könnte man noch viel machen.

Müsste Harald Krassnitzer als „Tatort“-Oberstleutnant Moritz Eisner nicht langsam in Pension gehen?

Bitte nicht! Und Adele Neuhauser als Bibi Fellner bitte auch nicht!

Krassnitzer ermittelt seit 22 Jahren, eine Verfolgungsjagd schafft er nur mit viel Schnaufen.

Das ist altersadäquat.

Hubsi Kramar, seit 2005 Leiter der Mordkommission, ist bereits 73.

Großartig! Vielleicht liegt das auch daran, dass meine liebsten Gesprächspartner reifere Menschen sind. Wenn wir nicht die Größe haben, sie reden, spielen, tun zu lassen, dann stimmt in der Gesellschaft etwas nicht. Es wird so viel über Diversität gesprochen. Sie bezieht sich nicht nur auf die Herkunft.

Wie geht‘s nun weiter mit Ihnen? Für die Pension sind Sie ja zu jung und zu energiegeladen …

Es stimmt, ich bin noch nicht pensionsfähig – und schon gar nicht pensionsreif. Mich interessiert Kultur, Kreativität und Kommunikation. In diesen Bereichen werde ich weiterarbeiten. Und die Kreativität ist vom ORF gefragt: Ich werde im reduzierten Angestelltenverhältnis Ideen entwickeln. Es gibt eine Konkurrenzklausel, aber außerhalb von Medienunternehmen darf ich auch anderes realisieren. Wir werden sehen!

 

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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