Sexuell selbstbestimmt: Frauen ermutigen, zu sich zu stehen
Instagram-Stars wie die Künstlerin Florence Given inspirieren weibliche Fans, authentisch zu sein – jenseits männlicher Erwartungen.
Wenn du eine Klitoris besitzt, lern sie kennen. Oder: Offen zu kommunizieren, was genau du willst, ist unglaublich sexy. Menschen, die das sagen sind jung, weiblich, haben Tausende Follower auf Instagram – und setzen sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität und dem eigenen Körper ein. Um jenen Sex zu erleben, den sie wirklich haben möchten. Und nicht einen, von denen manche glauben, dass sie ihn haben müssten.
Mach, was du sagst
Es geht um Ermutigung: Mach was du magst, aber tu es nicht, nur weil es andere wollen. Das betrifft sexuelle Praktiken ebenso wie das Aussehen. Denn so sehr sich viele als „sexuell befreit“ wähnen, nur weil sie Sex haben können, mit wem sie wollen , so offenkundig wird der Aufholbedarf. Weil die Idee von sexueller Befreiung nach wie vor nicht weiblich besetzt ist, sondern von männlich geprägten Vorstellungen geprägt wird. Viele Frauen haben nicht den Mut, Wünsche auszusprechen oder mit einem „Nein“ Grenzen zu ziehen. Eine, die sich auf Tiktok und Instagram dafür einsetzt, ist die 23-jährige britische Künstlerin Florence Given. Bei ihren Fans gilt sie als feministische „Ikone“, die Frauen bestärken möchte. Ihr Buch „Frauen schulden dir gar nichts“ (Kiepenheuer & Witsch), dessen englisches Original 400.000-mal verkauft wurde, erscheint nun auf Deutsch.
Frauenbild
Darin zeigt sie, wie sehr das moderne Frauenbild ungebremst von Sexismen und Oberflächlichkeit geprägt ist, sie widmet sich Themen wie Körperbewusstsein, Selbstliebe und gesellschaftliche Entsprechungen. Es ist ein feministischer Ratgeber, den sie als junges Mädchen selbst gerne gelesen hätte, um sich von gesellschaftlichen Erwartungen rechtzeitig freizumachen: „Ich denke oft darüber nach, wie mein Leben wohl aussehen würde, wenn ich in dem Bewusstsein aufgewachsen wäre, dass mein Körper in erster Linie mir gehört. Mir ganz allein. Und dass mein Körper nicht zur Freude anderer existiert.“ Sie hätte auch gerne früher erfahren, dass sie sich nicht klein machen müsse, auf diesem „winzigen Platz, den unsere patriarchale Gesellschaft für Frauen bereithält“.
Couchgeflüster
Ähnliches will die österreichische Influencerin Leonie-Rachel Soyel bewirken, die mit der Journalistin Sinah Edhofer den Podcast Couchgeflüster macht, mit 100.000 Zugriffen pro Monat. Die beiden haben nun ein Buch mit dem gleichnamigen Titel geschrieben, um „Frauen zu ermutigen, experimentierfreudiger zu werden und zu sich selbst, ihren Bedürfnissen und Körpern zu stehen“. Soyel weiß von vielen jungen Frauen, die zwar Sex haben, mit wem sie wollen, aber dabei nicht ihre Grenzen wahren und nicht wissen, was sie wirklich möchten. „Da braucht es eine Anleitung, die wir nie gelernt haben. Wir erleben durch Hollywood-Filme Bilder von Beziehungen, die längst nicht mehr passen. Das Prinzessinnenimage dominiert – Motto: ‚ein Typ wird mich retten, dafür gefalle ich‘.“
Eine männliche Sicht
Die Idee des „Ich nehme mir alles“ ist aus Soyels Sicht eine männliche, die uns in die Klimakrise und Kriege geführt hat. „Hier gilt es nachzuspüren, warum ich dieser Idee folge. Nichts gegen Gelegenheitssex, doch oft versuchen Frauen damit ihren Selbstwert zu heben, statt auf das zu hören, was sie brauchen. Sex ist unsere intimste Sprache, damit gilt es sehr achtsam umzugehen.“ Hier müsste bereits früh in der sexuellen Aufklärung angesetzt werden: „Im Unterricht wird Sexualität nur biologisch erklärt, von Selbstermächtigung keine Rede. Es fehlt die Anleitung, wie wir Lust leben können.“ Wahre sexuelle Selbstbestimmung bedeute für sie, seinen Gefühlen nachzuspüren und nichts zu tun, nur um cool und gefällig zu wirken: „Man darf sich verletzlich zeigen, und sagen: ‚Hey, das tut mir nicht gut‘.“
Die Klitoris: Wunder und Politikum
„Sexualität und wie wir sie erleben und ausleben (können), ist eine politische Angelegenheit, der wir uns kaum entziehen können“: Davon ist die Kulturwissenschafterin und Geschlechterforscherin Louisa Lorenz überzeugt. Umso wichtiger scheint es, mit Mythen und falschen Annahmen aufzuräumen. In ihrem Buch „Clit“ widmet sich Lorenz der „aufregenden Geschichte der Klitoris“, die auch sie erst im Alter von 25 entdeckte – im Internet und in „oktopusähnlicher Form“. Ihr ging es offenbar wie vielen. Denn obwohl dieses Wissen schon relativ alt ist, denken nach wie vor viele Frauen und Männer, es handle sich dabei nur um diesen einen kleinen Knubbel „da unten“. In Wirklichkeit erstreckt sich das sexuelle Wunderwerk tief ins Innere des weiblichen Körpers. Es ist mit zahlreichen Nerven und Rezeptoren ausgestattet, den Genitalkörperchen. Sie sind äußerst reizempfindlich.
Vaginaler Orgasmus?Die Bedeutung der Klitoris verknüpft Lorenz ebenso mit dem Politischen, überzeugt davon, dass Frauen, die sich mit der Klitoris gut auskennen nicht nur besseren Sex erleben, sondern dass dieses Wissen auch zur Gleichberechtigung der Geschlechter beiträgt. Womit sie ebenfalls aufräumt: dem Mythos des vaginalen Orgasmus. Ein Höhepunkt kann sich unterschiedlich anfühlen, aber an jedem scheint immer auch die Klitoris beteiligt zu sein.
Um jeden Preis gut im Bett
Interview mit Sexualcoach Nicole Siller über Performancedruck
Nicole Siller: Ich beobachte zwei Tendenzen: Einerseits erlebe ich bei vielen Frauen der jüngeren Generation eine Rückschrittlichkeit in Richtung alte Rollenbilder. Andererseits gibt es da aber auch einen starken feministischen Sprung in eine neue, andere Richtung. Ich erlebe allerdings schon, dass viele junge Frauen um jeden Preis gefallen wollen und sich an Männer anpassen. Da waren wir tatsächlich schon einmal weiter.
Ja, in jenem Sinne, dass Frauen zum Beispiel denken, sie müssten mit möglichst vielen Männern schlafen, um zu performen. Was ebenso unfrei ist und einem Maßstab folgt. Frauen sollten nicht in eine neue Normierung kippen, sondern nur das tun, was zu ihnen passt.
Viele Frauen wollen immer noch gut im Bett sein, statt wohltuende Sexualität erleben. Das scheint derzeit sehr verbreitet zu sein. Es ist eine Generation, die durch Internet-Pornografie beeinflusst wird, und so verfolgen manche die Idee, mit Hilfe von Sexualität und dem eigenen Körper dazuzugehören und gefallen zu wollen. Soziale Medien spielen hier auch eine wesentliche Rolle. Viele wachsen also mit einem großen sexuellen Performancedruck auf. Was dazu führt, dass Frauen alles mitmachen, um Männern mehr zu bieten. Andere wiederum sagen: Sex? Das tu ich mir nicht mehr an, weil ich bin nicht so blöd, und stelle meinen Körper zur Verfügung.
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