Warum Frauen und Männer sexuelle Entscheidungen unterschiedlich treffen
Männer haben nur Sex im Kopf, Frauen aber nicht – doch, stimmt das? Wissenschaftliche Untersuchungen lösen auf.
Sexualität ist etwas Natürliches. Laut eines populären Mythos allerdings, sind Männer wesentlich mehr daran interessiert als Frauen. Angeblich denken sie alle sieben Sekunden an Sex. In der Wissenschaft kann man diese Annahme unterstreichen. In den letzten Jahren häuften sich Studien, bei denen Männern auf Fragen zu ihren Gedanken im Alltag zugaben, dass sie deutlich häufiger an Sex dachten.
Doch Männer denken nicht nur häufiger an intime Stunden, sie treffen auch Entscheidungen diesbezüglich anders als Frauen.
➤ Hier mehr lesen: Ehe ohne Sex: Warum das normaler ist, als man denkt
Sexuelle Gedanken dominieren bei Männern
Ein Forschungsteam der Ohio State University ging der Frage nach, ob Männer wirklich überwiegend Sex im Kopf haben. Dafür führten sie eine Studie mit 283 weiblichen und männlichen Probanden durch. Um genau erfassen zu können, wann die Teilnehmenden an Sex dachten, wurden Zähler verteilt. Die Probanden mussten diesen eine Woche lang bei sich tragen und betätigen, wenn sie gerade sexuelle Gedanken hatten. Zudem gab es zwei weitere Gruppen von Studierenden, die ebenfalls den Zähler verwenden mussten, wenn sie entweder an Essen oder Schlafen dachten.
Die Studie zeigte, dass Frauen tatsächlich seltener an Sex dachten als Männer. Bei den Männern konnte zwar nicht der "Alle sieben Sekunden“-Mythos bestätigt werden, jedoch fand man heraus, dass sie im Schnitt 34 Mal am Tag sexuelle Gedanken hatten. Frauen hingegen kamen auf 19 Mal am Tag.
Zudem ergab die Studie, dass es starke Unterschiede zwischen einzelnen Personen gab – besonders bei Männern. Während sie zwischen 1 bis 388 Mal am Tag Gedanken an intimere Stunden verloren, erreichten Frauen einen Maximalwert von 140 Mal. Ebenso stellte sich heraus, dass Männer auch häufiger an Essen (25 Mal am Tag) und ans Schlafen (29 Mal am Tag) dachten als Frauen (Essen: 15 Mal, Schlafen: 13 Mal).
Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Ergebnisse auf Unterschiede in der Sozialisation zurückzuführen sind und Männer sich generell häufiger mit ihren persönlichen Bedürfnissen beschäftigen. Frauen werden in dieser Gesellschaft eher dazu erzogen, ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund zu stellen und sich um andere kümmern. Ob diese Interpretation der Wissenschaftler zutrifft, müssen künftige Forschungen zeigen.
Der Unterschied beim Treffen sexueller Entscheidungen
Das Verhältnis zur Intimität spiegelt sich auch in Bezug auf Gelegenheitssex wider. Die klinische Sozialarbeiterin Jourdan Travers hat auf psychologytoday.com zusammengefasst, worin die Unterschiede bestehen, wenn es bei Männern und Frauen um sexuelle Entscheidungen geht. Sie nimmt Bezug auf wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigten, dass das Geschlecht eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der emotionalen Erfahrung von Gelegenheitssex spielt.
Dabei hat sie zwei Dinge herausgearbeitet, die Männer und Frauen unterschiedlich verarbeiten:
1. Nach dem Gelegenheitssex erleben Frauen häufiger negative Emotionen als Männer
Eine in Sexuality and Culture veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass Frauen nach der Verabredung im Allgemeinen negativere Emotionen empfinden als Männer. Dazu zählen Bedauern und Ängste, aber auch depressive Gedanken.
Zurückzuführen ist das unter anderem auf weitere Ergebnisse der Studie: Zum einen gaben Frauen an, häufiger beim Gelegenheitssex sexueller Nötigung und unerwünschtem Kontakt ausgesetzt zu sein. Und zum anderen zeigte sich, dass sie bei gelegentlichem Sex auch stärker gesellschaftlich stigmatisiert und verurteilt wurden, während Männer dafür in der Gesellschaft Anerkennung und Lob erhielten.
Generell sind Männer laut der Untersuchung nach dem Sex zufrieden und stolz. Die Autoren legen nahe, dass dies auf eine höhere Wahrscheinlichkeit zurückzuführen sein könnte, beim Sex mehr Vergnügen und einen Orgasmus zu erleben. Doch auch gesellschaftliche Faktoren spielen eine Rolle: Männer sind im Gegensatz zu Frauen weniger Schuldgefühlen und sozialem Druck ausgesetzt, wenn sie sich auf Sex-Dates einlassen.
2. Für Frauen ist die sexuelle Entscheidungsfindung wesentlich stressiger als für Männer
Wissenschaftlich konnte ebenfalls belegt werden, dass bei Männern sexuelle Erregung als Reaktion auf erotische Reize mit einer größeren Bereitschaft zu riskantem Sex verbunden war als bei Frauen. Die 2021 in Personality and Individual Differences veröffentlichte Studie zeigte, dass sexuelle Erregung Männer und Frauen unterschiedlich motivieren kann – wobei eben Männer eher Risiken eingehen und Frauen vorsichtiger sind.
Laut Travers kann dieser unterschiedliche Ansatz bei der sexuellen Entscheidungsfindung auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden, die den Stress für Frauen erhöhen. Dabei geht es um physische und emotionale Folgen von Gelegenheitssex – wie etwa eine Schwangerschaft oder die Übertragung von Geschlechtskrankheiten. Aber auch um die Gefahr, Opfer sexueller Nötigung oder Gewalt zu werden.
Hinzukommen Überlegungen, die Frauen belasten: Sie denken oft über die Zukunft der Beziehung und die Gefühle der Partner nach. Dieses Zusammenspiel an Bedenken macht die sexuelle Entscheidungsfindung für Frauen zu einem potenziell stressigeren Prozess als für Männer.
Individuelle Entscheidungen respektieren
Männer haben im Gegensatz zu Frauen untereinander eine sogenannte Homosozialität. Die sorgt dafür, dass ihr Handeln auf Zuspruch stößt. Sie feiern sich gegenseitig für Erfolge, beglückwünschen sich zu sexuellen Erlebnissen und sind generell weniger streng miteinander. Frauen hingegen sind gesellschaftlichen Vorurteilen ausgesetzt, wenn sie sich sexuell offen zeigen. Sie müssen sich dafür rechtfertigen oder damit leben, herabgewürdigt zu werden.
Doch es ist nichts Falsches daran, sich auf Gelegenheitssex einzulassen – das gilt auch für Frauen. Wenn die Wertesysteme übereinstimmen und Sex mit beidseitiger Einverständnis praktiziert wird, ist er für alle Beteiligten eine Bereicherung. Aber es ist auch nichts Falsches daran, sich zu enthalten und vorsichtiger mit sexuellen Gelüsten umzugehen.
Travers schreibt abschließend: "Die Anerkennung geschlechtsspezifischer Unterschiede ist jedoch von entscheidender Bedeutung, um ein empathischeres Verständnis zu fördern, das individuelle Erfahrungen respektiert und Stereotypen infrage stellt." Wobei mit geschlechtsspezifischen Unterschieden nicht die biologischen Geschlechter gemeint sind, sondern das soziale Konstrukt "Geschlecht", in das Erziehung, soziale sowie gesellschaftliche Prägung und andere Umwelteinflüsse einwirken.
Kommentare