Online-Dating in der Generation 50 Plus

Online-Dating ab 50: "Sie wollen sich verlieben, ihre Sexualität ausleben"

Immer mehr Singles jenseits der fünfzig verlieben sich im Internet. Im US-Fernsehen will ein 72-Jähriger seine Traumfrau finden. Warum "Golden Dating" gekommen ist, um zu bleiben

Von Liisa Mikkola und Julia Pfligl

Nach zwanzig Jahren galt das Kuppelformat "Der Bachelor" als abgenutzt und auserzählt. Dann ließ sich der TV-Sender ABC etwas Neues einfallen: Der attraktive Junggeselle, der in der aktuellen Staffel nach einer Partnerin sucht, ist nicht wie üblich um die dreißig, sondern 72 Jahre alt. Und auch die Frauen, die um seine Gunst kämpfen, sind fünfzig oder älter. Als "Golden Bachelor" lockt der Witwer Gerry Turner derzeit Millionen US-Amerikaner vor die Fernsehschirme.

Er repräsentiert eine Altersgruppe, die auf dem Dating Markt lange Zeit wenig Beachtung fand – dabei ist laut New York Times einer von drei Babyboomern (geboren in den 1950er und -60er-Jahren) Single, verwitwet, geschieden. Die Lebenserwartung steigt, und mit ihr die Zahl der "Grey Divorces": Scheidungen nach der Silberhochzeit.

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Und auch die Generation fünfzig plus sucht vermehrt an einem bestimmten Ort nach Liebe: im Internet. Eine Auswertung der Online-Partnervermittlung Elitepartner zeigt, dass ein Viertel der Premium-Nutzer zwischen fünfzig und 59 Jahre alt ist. Auf Tinder können Nutzer neuerdings Kuppler für ihre (Groß-)Eltern spielen: Die "Matchmaker"-Funktion der Wisch-App ermöglicht es, Familienmitgliedern Single-Profile vorzuschlagen.

Was euch in dieser Geschichte erwartet:

  • Warum immer mehr Menschen ab 50 online nach der Liebe suchen
  • Die größten Herausforderungen beim Online-Dating
  • Tipps von Experten
  • Eine 56-Jährige erzählt von ihren Erfahrungen

Neues Selbstvertrauen

Der deutsche Soziologe Kai Dröge von der Universität Frankfurt hat das Phänomen "Golden Dating" im digitalen Zeitalter erforscht. Singles über fünfzig wollen aus ihrem sozialen Umfeld ausbrechen und neue Leute kennenlernen, in die sie sich verlieben können, sagt er zu uns im Interview. "In diesem Alter sind die Freundeskreise typischerweise recht stabil. Viele kennen sich schon seit Jahrzehnten. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man sich plötzlich in den alten Freund, die alte Freundin verliebt."

Der Reiz an niederschwelligen Dating Apps bestehe darin, dass wieder Schwung ins (Liebes-)Leben kommt. "Menschen in der Generation fünfzig plus wollen sich verlieben, ihre Sexualität ausleben. Die Online-Welt bietet den idealen Platz dafür: einen geschützten Raum, wo man mit anderen in Kontakt kommt und sich ausprobieren kann." Im analogen Leben fehlen oft die institutionalisierten Orte für solche Erfahrungen. "Nicht jeder will sich mit fünfzig plus noch die Nächte in Clubs um die Ohren schlagen", erklärt Dröge.

Einen weiteren Vorteil sieht Beziehungscoach Sandra Neumayr: Es hilft den Menschen, ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen, vor allem nach einer Trennung oder dem Tod eines Partners. "Dating Apps können den Menschen die Möglichkeit geben, sich selbst als attraktiv und begehrenswert zu sehen."

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Wer sich in den virtuellen Dating-Dschungel begibt, sollte sich auch mit den Fallstricken vertraut machen. Singles in der zweiten Lebenshälfte kämpfen genauso mit leidigen Phänomenen wie Ghosting, Dating-Burn-out oder Love Scamming, also gefälschten Profilen, die ihre Kontakte abzocken. Die größte Gefahr sei die Masse an verfügbaren Kontakten, sagt Neumayr. "Die Verlockung, dass immer noch eine tollere Person auftauchen könnte, wenn man fleißig weiter wischt, sich auf noch mehr Plattformen anmeldet, noch mehr Menschen trifft – das ist eine Falle. Damit können Menschen Jahre verbringen."

Genaue Vorstellungen

Der Vorteil der "Silver Singles": Sie haben bereits Ehen oder längere Beziehungen hinter sich und wissen, was sie sich von einer Partnerschaft erwarten. Umso schwerer falle es vielen, sich auf ein Gegenüber einzulassen, sagt Dröge. "Und wenn sie sich darauf einlassen, merken sie: So ganz ohne emotionale Verletzungen läuft das nicht ab. Es tut weh, wenn sich der Online-Kontakt plötzlich nicht mehr meldet. Daher ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass nicht jede Verbindung erfolgreich sein wird. Es erfordert Zeit und Geduld, den richtigen Partner zu finden."

Für das optimale Online-Dating-Erlebnis müsse sich noch einiges ändern, sagt Neumayr, etwa bei der Benutzerfreundlichkeit. Viele "Digital Immigrants" jenseits der siebzig sind technisch nicht so versiert wie die Generationen Y und X. Sie empfiehlt Online-Dating-Plattformen, Ratgeber oder persönliche Beratungsdienste anzubieten, um bei der Nutzung der Plattformen zu helfen und den Menschen Sicherheit zu vermitteln.

Denn Online Dating wird quer durch die Generationen ein fester Bestandteil des Alltags bleiben, sind die Experten einig. Dröge: "Viele, die jetzt fünfzig werden, haben ja auch schon früher jemanden im Netz kennengelernt, da ist das ganz normal. Mal schauen, was der nächste Hype wird – künstliche Intelligenz scheint mir ein aussichtsreicher Kandidat."

Ganz ohne Algorithmus wird "Golden Bachelor" Gerry Ende November seiner Auserwählten die letzte Rose überreichen. Dass Liebessuche auch in seiner Generation aufregend und lohnenswert sein kann, hat er schon jetzt gezeigt.

"Man sagte, ich sei unvermittelbar": Eine 56-Jährige über das Auf und Ab beim Online-Dating

Erfahrung. "Ich könnte Bücher darüber schreiben", sagt Elfie W. (Name geändert), wenn man sie auf das Thema Online Dating anspricht. Die Mittfünfzigerin ist geschieden, Mutter einer erwachsenen Tochter und blickt auf ein Jahrzehnt im virtuellen Dating-Dschungel zurück. Ausprobiert hat die Akademikerin „alles von Tinder über Bezahl-Plattformen bis zu Exklusivagenturen“. Letztere entpuppten sich als herbe Enttäuschung. "Schon vor zehn Jahren hat man mir bei so einer Agentur gesagt: In meinem Alter sei ich unvermittelbar, das interessiere die Männer nicht. Es ist ein Geschäftsmodell, dass man Frauen noch mehr in die Verzweiflung treibt."

Denn was Studien zeigen, stellte auch W. fest. "60-jährige Männer können sich locker eine 30-jährige Freundin suchen. Umgekehrt ist das gesellschaftlich noch immer schwierig. Vor allem als Frau, die was im Hirn hat."

Umgang mit Ablehnung

Nach vielen Stunden auf Tinder ("da muss man 500-mal wischen, bis man jemanden ansprechend findet") und der Bekanntschaft mit einigen Fake-Profilen versuchte es die Controllerin mit kostenpflichtigen Portalen – und fand einen Partner, mit dem sie seit zwei Jahren liiert ist. Das Alter könne ein Vorteil sein, weil man mehr über sich weiß, resümiert sie. Aber: „In dieser Lebensphase haben alle Blessuren, eine Geschichte. Und Dating ist ein harter Markt.“

Was rät sie Frauen und Männern, die sich nach einer Scheidung im Dating-Kosmos wiederfinden? "Die meisten gehen falsch an die Sache heran", findet sie. "Wir alle erleben Ablehnung. Aber wenn man bei jedem Korb tief gekränkt ist, zerstört einen das. Ich rate jedem, mit einem Coach Mängel aufzuarbeiten, bevor man sich in die Dating-Welt stürzt. Wenn man mit sich im Reinen ist, sind Apps eine tolle Möglichkeit, Leute kennenzulernen.“"

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