Diagnose Dating-Burnout: Warum die Lust auf Liebe ausbleibt

Erschöpft und ausgebrannt vom Dating-Life. Ein Psychologe erklärt das Phänomen und gibt Tipps, was hilft.

Sich für ein Date zu verabreden, das konnte einmal ziemlich viel Spaß machen. Etwas trinken gehen oder spazieren. Flirten, lachen, sich näherkommen. Nicht aus jeder Verabredung erwuchs die große Liebe, aber egal, was daraus wurde: es hielt die Sinne wach und war im Idealfall ein vergnügliches Abenteuer.

Heute legen immer mehr Berichte ein anderes Bild nahe. Die Suche nach der Liebe ist für viele unermesslich anstrengend geworden. Online-Dating hat die Partnersuche in ein neues Zeitalter überführt. Doch was anfangs vielversprechend war, gilt heute oft als ermüdend. Statt dem Flirt regiert der Frust. Man spricht von einem Dating-Burnout.

Erschöpft vom Swipen

Auf Apps wie Tinder oder Bumble wird eine endlose Flut an potenziellen Partnern am Handy nach links oder rechts geswipt. Es regiert die Reizüberflutung. Matches werden gesammelt, ohne sie anzuschreiben, Dialoge begonnen und ohne Erklärung beendet, Treffer werden gelöscht, Dates abgesagt. Finden sie doch statt, fordern sie viel Energie ab. Dazu gesellt sich der Druck, gefallen zu müssen – sonst wird man aussortiert.

Ergebnis: Auch jene, die eigentlich unverkrampft und guten Willens an die Sache herangingen, wird jede Lust auf Liebe schnurstracks ausgetrieben. Stattdessen sind sie gestresst, gereizt und niedergeschlagen.

Michael Hutter ist Klinischer Psychologe und Imago-Paartherapeut. Mit seiner Frau führt er eine paartherapeutische Praxis in Neulengbach (begegnungspraxis.at). Ihm ist das Phänomen Dating-Burnout ein Begriff. Im Experten-Interview mit freizeit.at erklärt er, was dahintersteckt – und wie man sich dagegen behilft.

Immer mehr Menschen haben mit einem Dating-Burnout zu kämpfen. Um was handelt es sich dabei?

Michael Hutter: Dating-Burnout meint Ausgebrannt-Sein im Zusammenhang mit dem Dating-Verhalten. Wobei häufig alle drei klassischen Hauptsymptome des Burnouts zu beobachten sind: emotionale Erschöpfung, sozialer Zynismus – also Abwertung anderer, sowie das Gefühl eigener Minderwertigkeit und Ineffizienz.

Psychologe Hutter: "60 Dates in vier Monaten, das macht natürlich kaputt"

©Privat
Wie macht es sich bei einem bemerkbar?

Man fühlt sich erschöpft, ausgelaugt und frustriert, hat keine Lust mehr auf weitere Dates. Man wird immer skeptischer und misstrauischer, beginnt Dating-PartnerInnen mehr und mehr abzuwerten. Hat das Gefühl, kein liebenswerter Mensch zu sein. Verliert die Hoffnung und sagt sich: „Ich werde nie jemanden finden!“

Wie kommt es dazu, dass man die Lust auf die Liebe verliert?

Häufig ist ein wesentlicher Grund, dass man sich zu sehr auf das Daten konzentriert und dabei die eigenen Ressourcen, die eigenen Kraftquellen zunehmend vernachlässigt – zum Beispiel Freunde, eigene Hobbys, die Ruhe der Natur, Sport, Kulturveranstaltungen.

Ich kenne einen Fall, wo jemand innerhalb von vier Monaten 60 Dates hatte. Manche davon wurden schon nach wenigen Minuten abgebrochen: „Tut mir leid, mit uns zwei wird das nix“. Das macht natürlich kaputt.

Symbolbild

Online-Dating verdirbt den Liebesspaß: eine scheinbar unbegrenzte Zahl an möglichen Partnern führt zu einem "Stress der Optionen" 

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Trägt das Online-Dating die Hauptschuld, dass Dates immer öfter keinen Spaß mehr machen?

Ich denke, ja. Der genannte Fall wäre ja ohne Online-Dating kaum möglich. Gleichzeitig vermitteln die unzähligen Online-Plattformen den Eindruck, dass da draußen eine fast unbegrenzte Zahl an möglichen PartnerInnen zur Verfügung steht. Aus der Stress-Forschung ist der Begriff des „Stress der Optionen“ bekannt. Wenn ich mich für eine von vielen zur Verfügung stehenden Optionen entscheide, entscheide ich mich gleichzeitig gegen alle anderen. Ich könnte ja eventuell eine viel attraktivere Option versäumen. Das allein kann schon - bewusst oder unbewusst - erheblichen Stress verursachen.

Ein Klassiker, den Singles zu hören bekommen, die gerne einen Partner hätten, ist: „Du suchst zu angestrengt.“ Gleichzeitig gilt: Wer nicht sucht, wird auch nicht gefunden. Keine Dates zu bekommen, kann also auch nicht das Ziel sein, oder?

Beides stimmt natürlich. Ein Ausweg kann der goldene Mittelweg sein: Selbstbestimmtes und bewusstes Daten.

Was kann man gegen ein Dating-Burnout tun?

Selbstbestimmtes und bewusstes Daten bedeutet zunächst einmal, sich Zeit zu lassen. Sich schon beim Swipen auf den Plattformen ausgewählte Profile näher anzuschauen, auf sich wirken zu lassen. Sich auch Zeit zu lassen beim Schreiben und Telefonieren. Und dann beim persönlichen Treffen das Gegenüber in seiner Vielfalt näher kennen zu lernen.

Gleichzeitig sich auch der eigenen Kraftquellen bewusst zu sein: Was sind meine Ressourcen? Was gibt mir Energie? Und diese Kraftquellen auch regelmäßig zu nützen, um gelassen und sicher zu bleiben. Ebenso kann es sehr sinnvoll sein, mit dem Dating manchmal auch Pausen zu machen - wenn man bemerkt, es wird zunehmend anstrengend, und die positive Vorfreude verloren geht.

Was ist noch wichtig?

Schließlich kann es wichtig sein, sich auch immer wieder mit sich selbst zu beschäftigen: Was kann ich aus meinen vergangenen Beziehungen lernen? Welches Beziehungsvorbild haben mir meine Eltern mitgegeben? Welche Ansprüche habe ich an meinen Wunschpartner? Wie realistisch sind diese Ansprüche? In der Imago Beziehungstherapie wurde dazu ein eigener Wochenend-Workshop entwickelt: „Die Liebe, die du suchst“. Ein Wochenende, das viele Erkenntnisse bringen und den Weg zu wirklicher und dauerhafter Liebe ebnen kann.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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