
Guidos Kolumne: Meine Kindheit auf der Baustelle
Weite Teile meiner wunderschönen Kindheit verbrachte ich auf einer Baustelle. Dort waren wir Kinder uns selbst überlassen.
Wir wohnten in der Hinterbrühl, aber meine Eltern bauten in Sparbach ein Haus.
Jeden Tag, wenn meine Eltern mit der Arbeit fertig waren, fuhren wir zu unserem Grundstück. Meine Eltern schufteten – ich sehe meinen Vater noch vor mir, in einer abgeschnittenen Jeans, mit nacktem Oberkörper, wie er eine Scheibtruhe voll mit irgendetwas Schwerem, das man zum Hausbau benötigte, durch die Gegend schob.
Wir Kinder waren in der Zwischenzeit uns selbst überlassen. Und das war schön, es gab noch keine Handys, also musste ich die Fantasie anwerfen, wenn ich mich nicht langweilen wollte.
Manchmal wollte ich mich ja sogar langweilen, dann saß ich auf einer Wiese, schaute in die Wolken und dachte mir wenig.
Aber meistens durchstreifte ich die Hügel und Wälder der Gegend. Manchmal half ich auch den Sparbacher Kindern dabei, die Kühe auf die Weide zu treiben. Ich hatte keine Angst vor Kühen und ich liebte ihren Geruch. Mitten auf der Kuhweide stand eine uralte Föhre, und als ich es zum ersten Mal schaffte, den Baum zu erklettern, war ich ungeheuer stolz.
Danach saß ich oft auf dem breitesten Ast der Föhre und las – am liebsten Tom Sawyer.
Mein Vater züchtete in einem kleinen Stall Kaninchen, was einerseits herrlich war, andererseits auch wieder nicht, weil die Kaninchen regelmäßig in die Pfanne wanderten und als Schnitzel verspeist wurden.
Wir hatten auch eine Schildkröte, die meine Großmutter allen Ernstes gefunden hatte, als sie im Wald austreten musste. Die Schildkröte lebte sehr vergnügt (soweit man das beurteilen konnte) in meiner Sandkiste und wurde mit Salat gefüttert, bis sie eines Tages über Nacht das Weite suchte.
Nach zehn Jahren war das Haus fertig und wurde verkauft. Gewohnt haben wir darin keinen einzigen Tag.
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