Polly Adlers Kolumne: Die Schönheit der Seebrassen-Flossen
Warum man sein Zeitempfinden auf ein Sabbatical schicken muss.
Lissabon also. Die portugiesische Dienstleistungs-Person zelebriert mit Inbrunst ihre Behäbigkeits-Neurose, was Zahlungsvorgänge und Bestellungen betrifft. Bei jedem Erwerb von süßem Unfug wie Fächern mit tanzenden Krokodilen erweisen sich die sorgfältigen Verpackungsvorgänge in Seidenpapier, eventuell mit einer neckischen Muschel als Schmuckgag, als Feuerproben für das Geduldpotenzial.
Ich muss dabei jedesmal an Mr. Bean in „Tatsächlich Liebe“ denken, als er das Kolliertscherl für Alan Rickmans Geliebte einpackte und dabei minutenverschlingende Maschen-Arabesken schlug, die beim Fremdgänger kalte Schweißfontänen und Ertappungs-Paranoia lossprudeln ließen. In der Zeit, bis dann die Kreditkartenmaschine im jeweiligen Hipster-Schuppen in „Bairro Alto“ aus ihrer Siesta erwacht, hätten Chirurgen Organtransplantationen durchführen können. Erst langsam checken wir, dass es völlig egal ist, wie viele Minuten wir unterwegs liegen lassen. „Wir wollen zum Nationaltheater“, erklären wir dem Taxler. „Wo soll das sein?“, will er wissen.
Er fährt seit 25 Jahren hier Taxi. Aber die Band „O Rappa“, die aus seinen Boxen dudelt, kann was. Wir zeigen ihm den Weg, er lacht. Auf einem Schiff treffe ich eine junge Frau, die ein paar Angelruten unter die Achseln geklemmt trägt. Es stellt sich heraus, dass sie hier auf der Fisch-Uni studiert und sich der Untersuchung der Flossenbewegungen von Seebrassen im Zuge der Klimaveränderung im Atlantik widmet. Wird das nicht irgendwann langweilig, fragt man vorsichtig. „Nein“, reagiert sie nahezu empört, „es ist so beruhigend und man reist in einen Modus außerhalb jedes Zeitempfindens“. Vielleicht ein neues Geschäftsmodell für Burnout-gefährdete Manager:innen:Trips aus dem eigenen Zeitempfinden. Da weit und breit keine Seebrassen auszumachen sind, konzentriere ich mich darauf, den Leuten beim Leben zuzusehen. Und ihr Trinkverhalten mit meinem zu vergleichen.
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