Chaos de luxe Kolumne: Downsizing-Schmerzen

Lieber Gemüseoffensive als die Wohnung aufgeben.

Ich empfinde eine nahezu äffische Liebe für meine Wohnung. Sie ist mein Adler-Horst, mein Rückzugsort, mein "Leo“ und eine meiner wenig funktionierenden  Langzeit-Beziehungen.

Nach den Gesetzesregeln der Vernunft müsste ich mir dringend etwas Kleineres suchen, denn zu teuer, zu überdimensioniert, zu ... zu ... zu ... Mit einer gewissen Lustlosigkeit studiere ich die Anzeigen in den Online-Portalen und habe mittlerweile den kleinen Dolmetscher für Makler-Sprache absolviert: am urbanen Puls = laut; charmant = ziemlich verlottert; ideale Pärchen-Wohnung = eng und schlechte Raumaufteilung; Bastlerhit (eine Bezeichnung, die auch auf viele meiner Exes passt) = knapp vor der Erdhöhle.

Als ich damals mit meiner zweieinhalbjährigen Tochter unter dem Arm nach einer längst überfälligen Trennung hier einzogen bin, konnte ich mein Glück kaum fassen. Vor mir hatte ein Ehepaar über 30 Jahre hier gewohnt, der Mann war nur wenige Tage nach dem Tod seiner Frau auch gestorben. Also auch ein Schuss Romantik im Mietpreis inbegriffen.

Als ich nun zart dem Fortpflanz Mitteilung machte, dass ich wohnungstechnisch Downsizing-Überlegungen anstelle, ließ das Kind einen Schmerzensschrei aus Berlin  los: „Wie kannst du mir das nur antun? Das ist der Ort, wo ich durch sieben Aupair-Mädchen die Mutterliebe bekommen habe, die du mir vorenthalten hast ...“ Dann grinste sie: „Und viele meiner Buddies defloriert wurden. Und ihren ersten Fetzen hatten, Partymarathons ohne Ende, sogar Heiratsanträge wurden hier gemacht ... soviel schöne Erinnerungen, die hier in der Luft hängen ... ein Umzug wird in eine emotionale Katastrophe für viele junge Menschen ausarten.“ Und auch für ältere, allen voran mich.

Ich machte also eine finanzielle Abspeckliste: Arrivederci, Auto, bye-bye Brotboutiquen, Tschüss Impulseinkauf von Tand, Gemüseoffensive in der Küche etc. Und hörte mir unter Tränen „Nothing Compares 2 U“ an. Meine Wohnung fühlte sich sichtlich geschmeichelt.

pollyadler.at, [email protected]

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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