Chaos de luxe Kolumne: "Vor lau graut mir!”
Kleines Philosophicum auf der Müllhalde
Ich stand mit meinen Mitstreiterinnen in einer Achtzehn-Euro-Goldhose, für die viele unschuldige Polyester ihr Leben hatten lassen müssen, geschminkt wie Joan Collins für ihren 100. Geburtstag, auf einer Müllhalde im 22. Bezirk und blickte auf einen Berg Matratzen, die sicherlich viele Geschichten zu erzählen hätten: Von postkoitalen Glücksschauern und der Illusion, dass diese Liebe nie enden werde, einander zugewandten Rücken, die sich Sätze "Wir müssen reden”, "Jetzt nicht!”, "Immer hast du nie...” zuwarfen, Einsamkeit, Sorgen-Perpetua Mobiles, die eine Barrikade gegen den Schlaf errichteten, Kindern, die zu Trickbetrügern wurden, weil sie mit den Eltern in einem Bett schlafen wollten undund...Mitten im Matratzenfriedhof leuchtete ein kleiner punschkrapfenrosaner Stoffpudel, den wir in einer halsbrecherischen Aktion vor dem Recycle-Tod retteten.
Und während wir in unseren absurd glamourösen Outfits durch den Müll wateten, um die Botschaft für unser neues Showprogramm fotografisch umzusetzen, sagte ich zu meinen Freundinnen: "Andere Frauen arbeiten in unserem Alter an ihrem Golf-Handicaps, holen sich Adrenalin-Räusche beim Chutney-Einkochen, betrügen ihren Ehemann mit der dichtlockigen Lehrkraft des Italienisch-Kurses und checken sich ein Abo im Musikverein. Und wir? Schau‘ uns nur an? Ist das ein altersadäquates Leben?” – Einstimmiges Juchhu. "Besser schwer überwutzelt als ein beiger Mensch sein” kreischte die eine und schwang enthusiastisch ein rostiges Wagenrad wie eine Unabhängigkeitsfahne. "Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben”, quietschte die andere. "Vor lau graut mir” warf die dritte Goethe auf die Halde. Und unser neues Pudel-Maskottchen, das auf den Namen Hysteria hörte, bellte: "Normal macht aschfahl! Für Schamgefühle ist der Zug ohnehin längst abgefahren, Beste.” Also heiter weiter. Ich beschloss trotzdem insgeheim, mich demnächst in einen Italienisch-Kurs einzuschreiben.
Kommentare