Polly Adlers Kolumne: Waschzettel, die zum Heulen sind

Warum Trauer so unberechenbar ist.

Da war er, der säuberlich zusammengefaltete Zettel in ihrer so elegant schrägen Schrift, in der Innentasche des alten Bademantels, der in der Kabane baumelte: "Gewaschen am 13. August 2023". 

Was sind mir solche Tante-Inge-Botschaften auf die Nerven gegangen. Betulich, spießig, wen sollte das bitte interessieren? Aber sie liebte es, überall kleine Zeitangaben zu hinterlassen: auf Marmeladegläsern, Medikamentenpackungen, auf der Rückseite jedes noch so belanglosen Fotos. 

Ich würde so viel darum geben, jetzt einen ähnlichen Wisch in dieser Schrift mit dem Datum des gestrigen Tages in einer Jacke oder sonstwo zu finden. Ist es nicht völlig paradox?

Dass man diese Eigenschaften eines Menschen, die einen zu Augenverdrehungen gebracht haben, nach dessen Verschwinden am meisten vermisst? 

"Zeit ist die Schule, in die wir gehen“, schrieb die damals eben zur Witwe gewordene Joan Didion in ihrem von Sentimentalitäten ballastfreien Buch über das magische Denken. Im Leistungsgegenstand Trauer taugt die Schule der Zeit nur bedingt. Sie schlägt oft zu, wenn wir glauben, sie verbarrikadiert zu haben. 

Kürzlich mussten die Regalbetreuerinnen eines Supermarktes sich sehr wundern, als meine Freundin angesichts einer Packung Orionkekse mit Bananen-Geschmack im Backwerk-Kanal weinend zusammenbrach. Es waren die liebsten Sünden ihrer an vor vier Jahren an Krebs zerbrochenen Cousine gewesen. 

Das Drama hatte dann doch noch einen skurrilen Ausgang. Sie schrie gen Himmel "Warum tust du mir das an?" und aß die halbe Packung mit hurtigen Lippen und fiebrigen Augen auf. Die Regaldamen klatschten, weil sie das Intermezzo als Performance einer Irren klassifizierten, die man nicht unnötig reizen sollte. 

"Wenn wir um das Trauern, was wir verloren haben, trauen wir auch um uns selbst", schrieb Didion, "um uns, die wir waren. Und die wir nicht länger sind." Klar. Trauer fetzt uns auch unsere eigene Vergänglichkeit um die Ohren. Und diese Erkenntnis braucht viele Kekse, sehr viele.

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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