Polly Adlers Kolumne: Soziologischer Catwalk

Jedermann an Ceviche und Meinungen.

Also "Jedermann"-Premiere. Eine Stimmung wie vor einem Ländermatch. Allein der Einlauf des Publikums ist ein soziologischer Catwalk: viele geldblonde Damen, deren Gesicht nicht den gleichen Jahrgang trägt, wie sie selbst, hohes Aufkommen von Airbag-Bäckchen, munteres Hey-ich-bin total-exzentrisch- Völkchen mit Beads und Metallaccessoires im Gesicht; Kritiker, die ihre Notizblöcke wie Waffenarsenale zwischen den Fingern hin und her schieben, Regional-Symbiotiker in Lederhosen und Dirndln, gelmanipulierte Sponsoren mit entsprechendem Bedeutungsturbo im Habitus. Das Ereignis ist zweitranging, es geht darum, in die Ich-bin-dabei-Karawane integriert zu sein.  

Danach Flucht in eine hordenfreie Oase, dem Stiftskulinarium St. Peter, gelegen an einem pittoresken Platz im Abseits der Trampelpfade. Acht Menschen am Tisch, acht unterschiedliche Meinungen an Gurkenkaltschale und Gelbflossenmakrele-Cheviche . Man fragt sich, ob wir tatsächlich alle im gleichen Stück gesessen sind. Zwischen "Bombastisch! Der beste Jedermann aller Zeiten!" bis zu "Keine Reimlibido, alles superhölzern", dazwischen gibt’s noch "Totaler Neunziger-Kitsch mit Broadway-Einlagen" und Gejammer über das Fehlen des Buhlschaft-Abschieds sowie eines im Preis eigentlich inkludierten Todeskampfs.

Herr Hochmair wird einfach in einer Gruft versenkt! Was macht der Regisseur hauptberuflich? Ich werde später zurecht gewiesen, dass es die Adieu-Einlage gar nicht im Text gibt, das Luder haut einfach ab, wenn Don Satan (Gottesbeweis-Performance von Herrn Luser) das Terrain bebockspringt. Bildungsbürgerin-Patschen, ich sprenge blamiert in die Crème brulée. Alles in allem ist es ein tröstliches Indiz für eine Zivilgesellschaft , dass Kultur die Menschen noch so aufbringen kann. Und ich denke an Theodor Fontane, der auch Kritiker war und irgendwann bilanzierte : "Ich bin nicht ungern ins Theater gegangen. Wenn ich mal da war, habe ich mich immer amüsiert, auch wenn es scheußlich war."

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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