Polly Adlers Kolumne: To Rainersalat or not to Rainersalat?
Merkel-Momente mit dem Fortpflanz
Weihnachtsspundus. Heuer wird erstmals ein Platz am Festtagstisch leer bleiben. Meine geliebte Tante ist im vergangenen Jänner für uns alle völlig überraschend abgereist. Wir hoffen auf Verlustlinderung durch einen Locationwechsel. Die Mischpoche wird zu mir umgeleitet. Ich muss also kräftig vorweinen, ich bin sehr nahe am Wasser gebaut. Wenn ich untertags mein Tränendepot leer mache, werde ich es vielleicht am 24. abends trocken schaffen.
Apropos trocken: Ich plane eine Truthahn-Erstbesteigung, das Kind hat in ihrer Adoleszenz zu viele Hollywood-Xmas-Komödien gesehen, wo Sarah Jessica Parker ganz in Grünrot gekleidet einen Acht-Kilo-Vogel in den 30.000 Dollar-Ofen schiebt und nachher eierlikörtrunken mit dem Cousin schläft. Keine Inzest-Empörung bitte, der Mann wurde adoptiert.
Das Kind hat Merkel-Momente: "Wir schaffen das, Mama." Sie weiß, dass meine Stressverträglichkeit in den letzten Jahren empfindlich abgenommen hat. Mein Glück ist, dass ihre Form der Rebellion gegen das chaotische Muttertier sich immer in straffer Organisation geäußert hat.
Zu oft hat sie mich mit drei Lockenwicklern im Haar und voll gekleckerter Schürze meine Gäste empfangen sehen, während der Braten im Rohr noch vornehme Blässe zeigte. "Es gibt jetzt noch eine Hamletsche Weihnachtsfrage", flüsterte ich ins Telefon, "To Rainersalat or not to Rainersalat?"
Es handelt sich um diese Wirtschaftswunder-Delikatesse, ein Mayonnaisesalat bestehend aus winzig geschnittenen Karotten, Essiggurken, Erbsen und Kartoffeln. Die Lehrerin meiner Tante in der Kochstunde hatte Frau Rainer geheißen und der Name blieb dem Salat.
Seit meiner Kindheit hatte ich ihn mir von meiner Tante zu Weihnachten gewünscht. Das Gericht verkörperte aber auch "Meltdown"-Gefahrenzulage. "Und ob, Rainersalat!", brüllte der Fortpflanz, "die Nani hätte es so gewollt! Wir müssen ihr Leben feiern." Vielleicht war das der Trick, um mit diesen schmerzenden Lücken umgehen zu lernen. Das Leben der Abgereisten zu feiern! Rainersalat, ich komme!
Pollys Xmas-Special, 15. 12., 20 Uhr, Rabenhof Wien
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