Polly Adlers Kolumne: Novizin im Frau Holle-Orden

Stippvisite beim Fortpflanz in "Börlin"

Das Kind hat Geburtstag. 31, Hilfe! Ich war genauso alt, als ich sie in die Welt geschossen habe. Ich reise also zum Fortpflanz. Am ersten Tag in Berlin fühle ich mich wie immer wie Heidi, die erstmals in die große Stadt kommt. Drei Laster breite Straßen. Barista-Höllen. Glutenfreiheit, wohin das Auge blickt.

Diese Spätis, wo man rund um die Uhr Rotkäppchensekt, Kondome und Buletten mit einem bedrohlichen Grauwert bekommt. Nahezu nur junge Menschen, die ständig "Alles gut" sagen oder sich bei DecafSoya-Kaffee in der Sonne sitzend fragen: "Hast du eigentlich Bock auf so'n Projekt?" Die Life-Life-Balance scheint hier äußerst ausgeglichen zu sein. 

Möglicherweise der bessere Weg, denkt meine innere Hamsterrad-Bewohnerin. Mir haben sie seinerzeit noch Layouts ins Wochenbett gefaxt. Völlig idiotisch. Wir schlafen in einem Bett. Keine Gästesuiten in der Bude, dafür Bernauer Straße. Beste Lage mit Schauerfaktor, denn Blick auf die Mauerreste. 

Wenn ich morgens die Augen aufschlage, kriege ich einen kleinen Lachkrampf. Das Kind trägt eine sogenannte Lockenhaube aus rosa Satin, die sie aussehen lässt wie eine Novizin in einem Frau-Holle-Orden; die Kopfbedeckung wird durch einen Pyjama-Hoodie mit der Aufschrift SEX konterkarikiert. 

Natürlich durchforste ich ihr Ambiente, wenn sie in die Psychoanalyse rauscht. Alles sehr zwänglerisch: Haarprodukte und Bodypflege säuberlich getrennt usw. Wahrscheinlich findet sie in der Sekunde ihren Impfpass. Rebellion gegen die Chaos-Mutti.

Langsam hat sie mehr Psychoanalyse hinter sich als Lebenszeit. Sollte mir zu denken geben. Dass sie doch klassisch heterosexuell ist, hat sie jedoch ganz ohne ihren Shrink herausgefunden. Bei einem Hinge-Date mit "einer non-binären Person mit weiblichen Geschlechtsteilen", die "volle Buben-Sehnsucht" zur Folge hatte. 

Doch das darf ich eigentlich nicht schreiben. Sie brauche das Material jetzt selber. Sie meint, ich müsse langsam selber wieder was erleben. Hilfe! Weil so wahnsinnig anstrengend! 

pollyadler.at

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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