Polly Adler Kolumne: Arme, arme Tinder-Kinder

Als Vorspiel: Kuscheln mit Serienkiller-Dokus.

Die Freundin des Fortpflanzes ist devastiert. Das war der erste Typ, den sie seit einem Jahrzehnt im Echtleben (also nicht online) kennengelernt hat. An einer Bar. Ein ganz neues Gefühl und irgendwie auch „weird“. Und jetzt: die analoge Zurückweisung. „Du bist eine ganz tolle Frau, aber momentan passt keine Beziehung in mein Leben.“ Subtext: „Hey, ich steh einfach nicht auf dich und du bist megaanstrengend.“ – „Ach, vergiss diesen Random-Dude“, tröstet der Fortpflanz die Zerrüttete, „seine Frisur war außerdem so 2010.“ Wie sich herausstellte, trug der Mann einen Irokesen, wirkte im Skateboard-Einzelhandel und war so hochgewachsen wie ein Schaffner der Liliputbahn. „Wie bitte? Der Haarschnitt voll die kulturelle Aneignung und der Typ dazu ein Laufmeter?“, fragte ich die heulende E., „Und deswegen wirfst du die Nerven weg?“

Das Kränkungsopfer schluchzte auf: „Mir ist doch der Dude  völlig egal. Aber es war so megaromantisch, wie wir uns kennenlernten.“ – „Wie denn?“ – „Er fixierte mich lange an der Theke und sagte dann Hey, Schönheit. Was geht ab? Einfach so. Und dann napflixten wir die ganze Nacht bei mir.“ Will heißen: Es kam zu Gekuschel in Begleitung von Serienkiller-Dokus auf Netflix. Das ist offensichtlich bei den Gen- Zlern das vertrauensaufbauende Vorspiel. „Hochorigineller Eisbrecher übrigens“, übte ich mich in Entmystifizierung, „das muss einem erst einmal einfallen.“ Der Fortpflanz verwies mich des Wohnzimmers: „Checke es bitte: Wir sind Tinder-Kinder. Wisch und weg ist voll ok online.

Da kann man auch mit Ghosting und Fizzling umgehen.“ – „Ist das endlich was Unanständiges?“ – „Fizzling ist langsames Versickern der Kontaktaufnahme.“ OK. Wieder ein neues Wort gelernt für Dinge, die man schon seit Jahrtausenden praktiziert. „Aber“, fuhr sie fort, „wenn wir uns einen Dude in Analogistan klar gemacht haben und der triggert dann ein Rejection-Trauma, dann muss man es einfach persönlich nehmen. Got it?“ Sowas von. 1980er, seid geküsst, ihr wart einfach toll!

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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