Amazonen im Baumarkt
Wie man seinen Ängsten den Mittelfinger zeigt
Meine Tochter ist einem LGBQT-Wanderclub beigetreten. So was nur in Berlin. „Dürfen da auch cis-normative Heteros mitspazieren?“, frage ich sie und werde mit einem Oh-Gott-du-hast-wirklich-noch-immer-nichts-kapiert-Verachtungsschweigen torpediert. Dann sagt sie trocken: „Bitte nicht immer lustig sein!“ Aber was bleibt einem über, in einer Welt, in der eine permanente Verunsicherungs-Temperatur herrscht: Man muss sich an den Humor klammern, wie Kate Winslet nach dem Untergang der „Titanic“ an die Holzplanke. Denn die Angst klatscht einem sonst im Minutentakt um die Ohren: Krieg, Klima, Inflation.
Meine um nahezu 300 Prozent gesteigerte Energie-Beitragsvorschreibung hat mich in einen hysterischen Lachanfall katapultiert. Die Dame am anderen Ende der Leitung hat bereits ein Beschwerde-Teflon. „Wir können drüber reden“, sagt sie in jenem Ton, den vom FBI geschulte Geisel-Verhandler gerne gegenüber etwas unstabil wirkenden Bankräubern anwenden. Ich übe schon einmal frieren: Im Wollschichten-Look, der einer Übernachtung in einem Mount-Everest-Biwag würdig wäre, wandere ich durch die Wohnung. Der Dauerbrandofen des Vormieters, den ich seit 25 Jahren mit garstiger Ignoranz bedacht habe, wird winterfein gemacht. Amazonengleich mache ich mir Holz klar.
Eine Ekstase des Triumphs durchwummert mich, als ich ganz ohne Rauchgasvergiftung vor den knisternden Scheiten sinniere. In solchen Zuständen haben die Brontë-Sisters Weltliteratur geschrieben. Ich werde nur welche lesen. Temporäres Nachrichten-Detoxing, volle Kraft voraus. Wirklichkeit Ausblenden ist erstaunlich preisgünstig. Und war noch nie so wertvoll wie heute. Ich mache meine erste Wanderung, indem ich meinen Geist schon einmal losschicke. Und denke an Kierkegaard, der auch ohne LGBQT-Wanderclub der Überzeugung war: „Ich kenne keinen Kummer, den man nicht weggehen kann.“
Letzte „Nymphen in Not“ am 20. 11. im Rabenhof: Sigrid Hauser, Petra Morzé
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