Nostalgie-Attacken
Requiem für einen Romantik-Überambitionierten
Paris katapultierte mich in die volle Nostalgie-Attacke. Ich spazierte durch die winzige Rue Bosquet im siebenten Arrondissement, in die ich im Alter von 17 zigfach eingebogen war. Wann immer ich konnte, hatte ich dort meinen in La Rochelle eingetüteten Bilderbuch-Franzosen, der tatsächlich Jean-François hieß und von Romantik-Überambition beseelt war, besucht. Wir schrieben uns täglich Briefe (wie in einem Austen-Roman), die wir mit unseren Parfüms einstaubten, und irgendwann erklärte er mir, dass ich nur noch bis zu meinem 18. Geburtstag durchhalten müsse, dann könnten wir endlich heiraten.
Seine Hingabe bereitete mir irgendwann solche Erstickungsanfälle, dass ich mich ihr zu entziehen begann: Ich wollte wieder atmen. Die Rosenblätter im Bett und die schmachttrunkenen Büttenpapier-Botschaften, die jeden Morgen am Spiegel klebten, nervten irgendwann. Außerdem sah ich mich eigentlich nicht in Paris als Fremdenführerin unter Follow-me-Gezwitscher Japaner durch die Stadt bugsieren. Jahrzehnte später habe ich versucht, ihn zu finden: Keine einzige Spur im ganzen Netz. Ich hätte mich gern bei ihm für mein emotionales Fluchtverhalten entschuldigt. Kein gutes Zeichen. Denn abgesehen von buddhistischen Eremiten in den Bergen oder indigenen Amazonas-Stämmen hinterlässt jeder einen digitalen Fußabdruck.
Ich stellte mich unter das Fenster unserer damaligen Wohnung und flüsterte: „Verzeih mir bitte. Aber wir Autrichiennes kriegen bei zu viel Romantik irgendwann Sodbrennen. Und danke für alles und dafür besonders: Ich kann noch immer ganz gut Französisch, weil dein Englisch so merde war. Und bei jedem ,pain au chocolat’, das ich esse, muss ich an dich denken.“ Wir hatten uns nach den langen Nächten um fünf Uhr morgens immer die ersten aus der Backstube in La Rochelle geholt. Und plötzlich hörte ich aus der Wohnung eine lachende Männerstimme, die sagte: „De rien.“ Was so viel bedeutete, wie „keine Ursache“. Mehr kann man nicht verlangen.
Kommentare