Mehr Abenteuer bitte (nicht)

Wenn Zugreisen in den Westen zu abenteuerlichen Survival-Games werden, wie man sie aus Videospielen kennt.

Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich mein wildes Vor-Kind-Leben vermisse. „Nein“, sagte ich. „Aber manchmal fehlen mir die kleinen Abenteuer.“ Daraufhin dachte sich das Universum: Na warte, dir zeig ich’s, und verwandelte eine familienfreundliche Zugreise mit Bambino in ein „Survival-Game“. 

Level 1: Auf dem überfüllten Bahnsteig stehen Sie, manövrierunfähig aufgrund des Gepäcks, während sich Bambino von Ihnen losreißen will, um Tauben zu streicheln.
Level 2: Die Hälfte aller Zugtüren sind abgesperrt. Rücksicht auf Frauen und Kinder wird nur genommen, wenn es ausreichend Einstiege gibt. Also heute nicht. 
Level 3: Im schmalen Gang zwischen Ihnen und Ihrem Sitzplatz stehen vier E-Bikes. Deren betagte Eigner können sie nicht bewegen: „Die hat uns mein Sohn reingehoben und in Salzburg lädt sie der Neffe wieder aus.“ 

Level 4: Auf Ihrem reservierten Platz sitzt eine deutsche Dame. Alle anderen Plätze sind besetzt. Die Dame tut so, als könne sie Sie nicht hören.
Level 5: Der Schaffner macht eine Durchsage, dass alle aussteigen müssen, die keinen Sitzplatz haben. Die Dame auf Ihrem Sitzplatz schlägt eine Illustrierte auf. Sie verweisen flehentlich auf das Kind auf Ihrem Arm. Schließlich antwortet die Dame: „Der Planet ist überbevölkert.“ 
Level 6: Sie bitten einen Herren, den Schaffner zu holen. Der Herr sagt freundlich: „Nehmen Sie halt den nächsten Zug. Als Jungmama hat man doch Zeit.“
Level 7: Ihr Kind weint.
Level 8: Sie nehmen die Handtasche der Dame und tragen sie aufs Klo. Als die Dame schimpfend aufspringt, besetzen Sie Ihren Platz.
Level 9: Die Leute am Vierer nebenan, die gerade noch so taten, als wären Sie Luft, loben Sie für Ihre Kreativität. 
Game Over: Der Zug fährt ab. Sie haben die Gelegenheit verpasst auszusteigen, nachhause zu eilen und wunderbare abenteuer-freie Tage zu genießen.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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