Vea Kaiser

Almauftrieb der Großfamilien

Warum man bei der Eingliederung neuer Familienmitglieder gut acht geben muss, welche Geister man ruft

Nach drei Jahren Pause fährt meine Großfamilie zusammen in die Berge. Früher galt: Dem Skigott muss gehuldigt werden. Wer also nicht im Herbst mit Muskelaufbautraining begann, um sieben Tage lang den Skipass auszunutzen, der galt als Lulu. Auch meine Familie gehört zu jenen Flachlandösterreichern, die einen Mangel aus nahe gelegenen Skipisten durch ein Mehr an Urlaubseinsatz wettzumachen versuchen. 

Beim letzten winterlichen Großfamilienalmauftrieb war das eine Herausforderung für die beiden Neo-Mitglieder: Brüderleins Freundin und den Dottore Amore, denn für sie  war Skifahren neu. Bei meiner in Peking geborenen Schwägerin kam die chinesische Erziehung durch. Wie man sie instruiert hatte, ging sie in die Pizzaschnitte, und fuhr eisern jeden noch so steilen Hang hinab – ohne Lamentieren, ohne Hinterfragen, ohne Rücksicht auf den Muskelkater. Mein süditalienischer Dottore Amore hingegen schimpfte uns den Berg hinab, dass wir völlig bescheuert seien, wenn wir glaubten, es wäre gesund, bei Minusgraden Sport zu treiben. 

Ausgerechnet er, der wirklich gut weiß, wie eine Pizzaschnitte ausschaut, verweilte nicht in selbiger, und sein Sermon über die Zumutung, mit dieser Familie Zeit zu verbringen, hörte erst auf, als er eine Hütte fand, die einen anständigen Espresso verkaufte. Dann schnallte er die Ski ab und fuhr mit dem Lift ins Tal.
Nach einem anstrengenden Jahr reist heuer ein Großteil der Familie nicht an, um Ski zu fahren, sondern um im Schnee zu relaxen. Nur der Dottore Amore und meine Schwägerin haben angekündigt, den Liftpass voll auszunutzen. „Wir trainieren seit drei Jahren. Wir sind jetzt Teil der Familie und keine Lulus.“ Als die beiden triumphierend über alle relax-willigen Mitglieder (inkl. mir) herzogen, dachte ich an einen Vers aus dem Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.“ 

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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