Mater semper certa est
Warum zwar immer feststeht, wer die Mutter ist, aber es auch nicht schadet, das gelegentlich zu merken
Woher kommt der Menschheit Drang, beim Anblick eines Babys sofort nach Ähnlichkeiten zu den Eltern zu suchen? Warum befriedigt es über den Kinderwagen gebeugte Bekannte so sehr, ausrufen zu können: „Jö, ganz die Mama/der Papa!“
Da Säuglingsentführungen hierzulande selten sind, hält sich der Bedarf an auf Kleinkinder spezialisierte Sherlocks in Grenzen. Die Bestätigung der Elternschaft durch Dritte ist auch überflüssig: Eltern wissen normalerweise, ob sie die Produzenten sind. Und selbst wenn nicht, ist die „Rosi-Tant“ sicher nicht die beste Auskunftsperson diesbezüglich.
Vielleicht bin ich von der Elternähnlichkeits-Blickdiagnostik deshalb so genervt, weil mein Sohn „dem Papa aus dem Gesicht g’rissen“ ist. Wie man mir bis zu zwanzig Mal pro Tag erklärt. Der skeptische Blick, der dunkle Hautton, sogar die Formen der Zehen hat er von seinem Vater. Oft streichle ich sein Köpfchen und suche angestrengt nach mir, nur um festzustellen, dass ich in einer neun Monate langen Schwerstarbeit meinen Gatten reproduziert habe.
Und das ist wunderbar: zwei Exemplare eines geliebten Mannes sind besser als eins, Mater semper certa est, und natürlich ist unser Sohn perfekt, ich würde ihn nicht anders haben wollen, aber trotzdem …
Man ist ja eitel auch. Diese meine irrationalen Luxusprobleme klagte ich neulich einer Freundin, während ich dem Bauxi ein Fläschen zufütterte. Meine innere Milchkuh ist ziemlich faul. Der Kleine trank gierig ein ganzes Flaschi, erbrach einen Teil, trank selig ein zweites. „Also ich weiß nicht, was du hast“, sagte meine Freundin. „Saufen, Speiben, Weitersaufen. Als wir jung waren, hast du das auch oft gemacht.“ Ich protestierte, doch mein Sohn rülpste, grinste, brabbelte belustigt, als wolle er uns die Welt erklären, und dämmerte im Milchkoma weg. Meine Freundin sagte: „Da schau,
ganz die Mama.“
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