Das scheue Schaf in Bethlehems Stall

Im Stall zu Bethlehem war ein Kind geboren. Ein Wunder, wurde gemunkelt. Ochs und Esel drängten in die erste Reihe, im Gebälk scharten sich die Engel. Nur das scheue Schaf versuchte sich in der dunkelsten Ecke zu verstecken.
 

Kater Streuner schwänzelte um das Neugeborene, bis er das Schaf bemerkte: „Hey du, was machst du im hintersten Winkel? Dort vorn passiert Außergewöhnliches!“ Das Schaf kauerte sich noch weiter in die Dunkelheit. „Ich habe Angst“, sagte es. „Ochs und Esel sind größer und stärker. Die Engel kommen aus dem Himmel. Du Kater Streuner bist sowieso der Mutigste. Was habe ich dort vorne verloren? Ich bin bloß ein kleines Schaf.“ – „Aber du bist das weichste Tier von allen! Dank deiner Wolle haben wir Decken. Wenn es dich nicht gäbe, würde das Kindlein frieren.“

Das Schaf wich noch einen Schritt zurück. „Viele Fremde sollen kommen, das ganze Land läuft draußen vor dem Stall zusammen, was ist, wenn alle meine Wolle wollen? Was, wenn sie uns den Stall wegnehmen? Was, wenn wir Tiere vertrieben werden, um Platz für edle Könige zu machen? Alle sagen, hier passiere ein Wunder. Doch wer weiß, was das für uns bedeutet?“
Kater Streuner schmiegte sich an seine Beine und schnurrte: „Es ist normal, Angst zu haben, wenn sich alles verändert. Aber du bist nicht alleine. Der Stall ist voller Freunde, die bei dir sind – egal, was kommt. Manchmal ist Angst wichtig. Aber du darfst dich nicht von ihr hindern lassen, Schönes zu sehen und ein Wunder zu erleben. Also komm, ich geh mit dir.“
Das scheue Schaf fasste sich ein Herz und trat an die Krippe. Dort sah es das Kindlein, und sein Herz wurde so warm, dass alle Angst verflog. Denn in einer Welt, in der man Gutes erlebt, wird man auch die schweren Zeiten durchstehen. Weil einem das Gute die nötige Kraft gibt dazu.
Frohe Weihnachten!