Vea Kaiser

Vea Kaisers Kolumne: Ins Ziel stolpern

Warum man gerade in schnelllebigen Zeiten, in denen Perfektion angestrebt wird, dem Scheitern eine Chance geben sollte.

Früher stellte ich mir eine Roman-Genese wie folgt vor: Der von barbusigen Musen geküsste Schriftsteller zieht sich in sein efeuumranktes Gartenhäuschen zurück und bringt seine Genialitäten zu Papier. 

Im aus Goldfäden genähten Wanderrucksack trägt er das Manuskript zum Verlag, wo dem Schriftsteller gehuldigt wird und devot ein paar Vorschläge zur Beistrichsetzung vorgelegt werden. Der von seinem Genius natürlich selbst am meisten überzeugte Schriftsteller übt die Dankesrede für Stockholm. 

Sollte das Opus nicht den gewünschten Erfolg haben, sind alle anderen Schuld. 

Mit einem solchen Bild der Schriftstellerei im Kopf, dachte ich nicht, dass auch aus mir je so etwas werden würde. Vier Romane später weiß ich: Um aus einer guten Idee einen noch besseren Roman zu machen, muss man nicht von sich selbst überzeugt, sondern hervorragend im Scheitern sein. 

Musen sind unzuverlässige Luder. Man verwirft unzählige Seiten, bis man einige gute hat. Diese werden von der Verlagslektorin penibelst gelesen. Bis zum Erscheinen bekommt man das Manuskript mehrmals zurück, mit meist trefflichen Anmerkungen, was man ändern könnte – nicht muss, sondern könnte. 

Einen Roman zu überarbeiten, bedeutet, permanent mit den eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten konfrontiert zu werden. 

Wenn es heißt, für ein gutes Werk muss man leiden, ist wahrscheinlich dieses Verzweifeln an sich selbst gemeint, das ich zurzeit erlebe. 

Aber wissen Sie, was das Schöne am Scheitern ist? Man bekommt die Chance, besser zu werden. 

Wir sind ein schnelllebiges Zeitalter, das Fehler ungern verzeiht und nach Perfektion strebt. Doch egal, ob beim Backen mehrstöckiger Geburtstagstorten, bei Liebesbeziehungen oder beim Romanschreiben: Auf dem Weg zu der Version zu scheitern, mit der man schlussendlich glücklich ist, bedeutet nie, zu verlieren – sondern stets: zu gewinnen.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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