Fabelhafte Welt: Sommerliche Gips-aster

Wie man damit umgehen kann, wenn das Verletzungspech ausgerechnet im Sommer zuschlägt.

Beim nächsten Mal kriegst eine Jahreskarte!“ Dieser Satz markierte einen Tiefpunkt in meiner Kindheit. Ihn sagte nämlich kein Bademeister, sondern ein Gipser in der Unfallambulanz des KH St. Pölten. Dort war ich eine Zeit lang Stammgast.

Dabei war ich kein sonderlich patschertes Kind und erst Recht nicht so wild wie mein kleiner Bruder.

Saß ich am Fahrrad, fuhr mir jemand hinein. Bildete sich im Schwimmbad eine rutschige Stelle, war ich die erste, die den Boden küsste. Meine besondere Schwachstelle waren die Wachstumsfugen: Weil diese angeknackst oder beleidigt waren, verbrachte ich einen Großteil meiner Kindheitssommer eingegipst, und ja, das war schlimm, denn in den Neunzigern gab es noch keinen Schwimmgips.

Während andere Tennis spielten oder ins Wasser sprangen, saß ich im Schatten, schmollte und las. Vielleicht sollte ich im Nachhinein dankbar sein, vielleicht waren das die Leseerlebnisse, die mich zur Schriftstellerin machten, aber damals war es ein Gips-aster.

Mit dieser Vorgeschichte hörte mir das Herz gar nicht mehr zu bluten auf, als mein Bambino vor einigen Wochen über die Treppe segelte und sich Elle und Speiche brach. Ihn schien das weniger zu irritieren. Er war so tapfer, dass der Arzt im Krankenhaus beim Blick auf das Röntgen sagte: „Hätte gar nicht gedacht, dass der wirklich gebrochen ist, so gut wie der drauf ist.“

Den Wartenden in der Unfallerstversorgung präsentierte er stolz seinen Arm. „Gips!“, wurde zum neuem Lieblingswort. Zurück zuhause rannte er herum, als sei der Treppensturz nie geschehen und sein Arm nicht bis zur Achsel ruhiggestellt. Und ich lernte: Ein Gips kann einen Sommer versauen. Muss er aber nicht.

So Leid es mir tut, dass Sohnemann mein Verletzungspech geerbt zu haben scheint: Wenigstens blieb er von meinem Talent verschont, aus allem ein Drama zu machen.
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Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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