
Vea Kaisers Kolumne: Vor-Sich-Herschieber-itis
Warum die Möglichkeit, alles zu tun, wovon man träumt, nicht zwangsläufig dazu führt, dass man alles tut, wovon man träumt
Mein Manuskript liegt auf des Lektors Schreibtisch. Bis er es mir mit hunderten Anmerkungen versehen zurückschickt, die schonungslos meine Unzulänglichkeiten dokumentieren, ist der Schriftstellerinnenalltag unterbrochen: Ich könnte all die Dinge tun, von denen ich während der drei Jahre dauernden Arbeit am Manuskript träumte: die fesselnde Serie, das großartige Theaterstück oder die geniale Kurzgeschichte schreiben, die mir seit Ewigkeiten im Kopf herumspuken.
Stattdessen widme ich mich der Buchhaltung. Ich sortiere Belege, Dokumente, Bescheinigungen und was sich noch in jenen Umzugskartons befindet, auf denen mit Edding groß ABLAGE geschrieben steht.
Wie es sich für eine gelernte Wienerin gehört, echauffiere ich mich abends maßlos über diesen freiwillig gewählten Zeitvertreib.
Einst stimmte mein Mann in Buchhaltungsklagen zuverlässig ein und wir sangen ein Katzenjammer-Duett über die Last der Bürokratie, doch seit kurzem hat der Dottore Amore eine eigene Kassen-Ordination und vor Stress nicht nur fünf Kilo abgenommen, sondern Spaß am – im Vergleich zum Rest seines neuen Job-Alltags – entspannenden Zettel-Ordnen.
"Seit Ewigkeiten erzählst du von deinen Ideen. Die Belege für die private Zusatz-Pension brauchst du frühestens in vierzig Jahren, wenn überhaupt! Warum hältst du dich jetzt damit auf?" Er gähnte, also schickte ich ihn ins Bett.
Tatsächlich aber wollte ich nicht gestehen, dass ich große Ideen mit noch größerer Freude vor mir herschiebe. Denn solange man sie nicht anpackt, wird man auch nicht damit konfrontiert, dass der Weg von einer genialen Idee zu ihrer genialen Umsetzung ein weiter ist. Die Vor-Sich-Herschieberitis ist nämlich keine Krankheit der Faulen, sondern ein Symptom der leidenschaftlichen Träumer, die sich ungern davon verabschieden, dass Vorstellung und Realität selten deckungsgleich sind.
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