Liebe im öffentlichen Raum
Warum Kinder nach Neapel fahren müssen, um zu erleben, wie es süßen Hunden in Wien so ergeht
Manchmal, wenn Sohn, Hund und ich durch die Straßen Wiens spazieren, bleiben Passanten stehen: „Moi ist der lieb!!“, schmelzen sie dahin, meinen aber nie meinen entzückenden Bambino, sondern den Hund. Was ich als überstolze Mutter natürlich nicht überreiße, woraufhin sich ein Dialog wie der folgende entspinnt: „Wie alt ist er denn?“ – „Zehn Monate.“ – „Der ist aber groß!“ – „Er isst ja auch mit uns mit.“ – „Jössas! Der braucht doch rohes Fleischi, mit Sehnen und Flachsen!“ Oder: „So ein Hübscher! Und diese dunklen Augen!“ – „Danke, er ist teils Neapolitaner.“ – „Haben S’ den von der Straße g’holt? Fein, dass du nimmer im Dreck schlafen brauchst, du liebes Schatzi!“ Spätestens, wenn die Gesprächspartner das „liebe Schatzi“ streicheln, schauen Söhnchen und ich verdutzt zu, wie Hund das Maximum an Liebe erhält, das man in Wien im öffentlichen Raum bekommen kann.
In Neapel ist das anders. Seit der Zug die Stadtgrenze passierte, wird mein Sohn verehrt. Passanten blasen ihm Küsse zu. Manche überqueren die Straße, um ihn ins Fußi zu zwicken und dramatisch niederzusinken: „Ma quanto sei bello!“ Alles ruft ihm zu: „Ciao Amore!“ In der Bar, in der wir morgens Café trinken, darf er Schubladen ausräumen, Blumen rupfen, am Boden seine Babygymnastik betreiben, während das Personal um ihn herum manövriert und ihn anschmachtet.
So macht man das nämlich in Neapel mit Kindern: Man vergöttert sie. Ich fürchte, unser Bambino wird einen Kulturschock bekommen, wenn wir nach einem Monat Süditalien zurück nach Wien kommen und der Hund wieder Nummer eins der öffentlichen Aufmerksamkeit wird. Andererseits schenkt Bambino selbst niemandem so viel Aufmerksamkeit wie dem Hund. Und dann bekommt ja Bambino ohnehin unendlich viel Aufmerksamkeit von diesen beiden Kasperln, die bei jedem seiner Blicke zu debilen Halbaffen mutieren: seinen überstolzen Eltern.
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