Fabelhafte Welt: Genosse Kreisky, der Kater
Was es für eine glückliche Zukunft zu zweit wirklich braucht und wer darüber verfügt.
Heute heiratet mein kleiner Bruder – wobei "klein" kein geeignetes Wort ist, um ihn zu beschreiben, immerhin sind seine natürlichen Feinde Türstöcke, Kellerabgänge und Kronleuchter. Mit seinen dreißig Jahren ist er zudem im besten heiratsfähigen Alter, auch wenn er das nicht so sieht.
Er hätte sich noch viele Jahre Zeit gelassen mit dem Gang zum Standesamt, aber seine Braut ist ein Zugvogel: Geboren in Beijing, aufgewachsen in Toronto, studierte in Paris, beruflich in verschiedenen afrikanischen Ländern unterwegs. Auch der weltgewandteste Zugvogel sehnt sich nach einem Nest. Und als meine Bald-Schwägerin aus Liebe zu meinem Bruder nach Berlin zog, eröffnete sie ihm: Wenn nicht binnen vier Jahren ein Heiratsantrag kommt, fliegt das Vöglein weiter, um sein Nest zu finden. Drei Tage vor Ablauf dieser Frist hielt Brüderchen um ihre Hand an und erlöste mich von der Angst, meine Traumschwägerin zu verlieren. Um ihre Beziehung zu charakterisieren, erzählt mein Bruder gern, wie sie zu ihren Haustieren kamen: "Meine Freundin wollte zwei Katzen. Ich wollte keine Katzen. Jetzt haben wir zwei Katzen."
Als Kompromiss durfte er ihre Namen bestimmen, weswegen diese Viecher nun auf Napoleon und Kreisky hören. Hervorragend gewählte Namen, denn Kater Napoleon ist unnahbar und exzentrisch, Genosse Kreisky akzeptiert nie, wenn das Futter leer ist, sondern macht sich bei Erscheinen des Napfbodens auf die Suche nach mehr, getreu dem Motto: Futter für alle. Jedenfalls glaube, hoffe, bzw. weiß ich, dass mein Bruder und meine Schwägerin sehr glücklich miteinander werden. Denn was braucht es, um die unerahnbar verschlungenen Pfade zu bewältigen, mit denen uns das Leben zu überraschen pflegt? Nicht, stets dasselbe zu wollen, sondern die Fähigkeit, gemeinsam zu Kompromissen zu gelangen, die beide glücklich machen.
Kommentare